: Neue Technik gegen internationale Kontrolle
Indien und die USA wollen einen Atompakt schließen. Das Projekt ist in beiden Ländern stark umstritten
BOMBAY taz ■ In Delhi wird heute US-Vizeaußenminister Nicholas Burns zu Verhandlungen über einen Atompakt zwischen Indien und den USA erwartet. Die westliche Führungsmacht bietet dem asiatischen Riesen Uranbrennstoff und moderne Technik an. Indien will dafür seine Atomkraftwerke unter internationale Kontrolle stellen. Der Pakt ist Teil der Initiative Washingtons, Delhi in eine strategische Partnerschaft einzubinden. „Präsident Bush hat das Engagement für eine amerikanisch-indische Partnerschaft intensiviert und dramatisch beschleunigt“, sagte Burns im vergangenen Oktober in New York. „In vieler Hinsicht ist das eine der wichtigsten Veränderungen der US-Außenpolitik der letzten Jahre.“
Die beiden größten demokratisch regierten Staaten der Welt wollen bei der so genannten friedlichen Nutzung der Atomkraft enger zusammenarbeiten. Eine beim Besuch des indischen Premiers Manmohan Singh in Washington im Juli 2005 unterzeichnete Erklärung sieht vor, dass Indien seine Nuklearanlagen in militärische und zivile trennt und Letztere für internationale Inspektionen öffnet. Internationale Kontrollen würden Indiens Atomanlagen „legalisieren“, also vom Verdacht befreien, zur Produktion von Atomwaffen „missbraucht“ zu werden. So gewänne Indien den Status einer anerkannten Atommacht und könnte bei der Entwicklung seiner Nukleartechnik wieder mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Nachdem Indien 1998 vier unterirdische Atombombentests durchführte, belegte es der Westen mit Sanktionen.
Doch der Atompakt ist in beiden Ländern umstritten. Präsident Georg W. Bush muss im Kongress ein Gesetz einbringen, das Indien zum Ausnahmefall erklärt und eine atomare Kooperation erlaubt, auch wenn Indien nicht dem Atomwaffensperrvertrag angehört. Die Anwälte der Nichtverbreitung sehen in einer Ausnahme für Indien eine Schwächung des Vertragswerks insgesamt. Wer könne garantieren, dass Indien US-Atomtechnik nicht an andere weitergebe oder selbst zum Bau eigener Atomwaffen missbrauche?
Auch in Delhi regt sich Unmut. Politiker der Linken sowie der hindu-nationalistischen Rechten werfen der Regierung vor, Indiens Souveränität zu gefährden und mit jenen zusammenzuarbeiten, die das Land 1998 isolierten. „Das verstößt vollkommen gegen unsere nationalen Interessen“, klagt der Ex-Chef des Atomforschungszentrums Barc in Bombay, A. N. Prasad. Indiens Atomprogramm könne durch internationale Kontrollen „unterminiert“ werden.
Indien hat zwölf Schwerwasser- und zwei Leichtwasser-Reaktoren in Betrieb mit 3.310-Megawatt-Kapazität. Neun Reaktoren sind im Bau, darunter ein schneller Brüter. „Wir werden jedes Jahr einen neuen Reaktor in Betrieb nehmen“, sagt der Chef der Atombehörde DEA, Anil Kokadkar. Trotz internationaler Sanktionen beherrschen indische Ingenieure den Brennstoffkreislauf vom Uranbergwerk bis zur Wiederaufarbeitung.
In Indien gilt die Atomindustrie als nationales Prestigeobjekt. Indiens Atom-Establishment umgibt sich mit einem Schleier der Geheimhaltung, der durch drakonische Gesetze geschützt ist. Eine unabhängige Aufsicht über die Atomanlagen ist nicht vorgesehen, selbst der Besitz eines Geigerzählers ist verboten. „Indische Reaktoren gehören zu den am meisten verseuchten Atomanlagen der Welt“, behauptet der Journalist Praful Bidwa.
Trotzdem gelingt es der Atomlobby nicht, neue Uranminen in den Unionsstaaten Meghalaya und Andhra Pradesh zu öffnen. Die lokale Bevölkerung leistet Widerstand, denn die Erfahrungen mit Indiens einziger Uranmine in Jharkhand sind abschreckend. So scheint die Brennstoffversorgung für die im Bau befindlichen AKWs nicht gesichert. Der Pakt mit den USA könnte diesen Engpass umgehen.
Da militärisch deklarierte Atomanlagen von internationalen Kontrollen ausgeschlossen blieben, könnte Indien weiter waffenfähiges Plutonium produzieren. Um Bedenken zu zerstreuen erklärte die Regierung, das Schnelle-Brüter-Programm werde nicht internationalen Kontrollen unterstellt.
Zu Jahresbeginn übergab Indiens Vizeaußenminister Shyam Saran den Plan zur Trennung der Atomanlagen seinem Kollegen in Washington. Burns wird in Delhi das weitere Vorgehen verhandeln. Angesichts der Kritik im US-Kongress scheint sicher, dass er Nachbesserungen verlangen wird. Indien hat signalisiert, dass es dafür nicht offen ist.
REGINE HAFFSTEDT