: Euro soll Hollande retten
FRANKREICH Der angeschlagene Präsident François Hollande fordert eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone mit eigenem Budget
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Ein Jahr nach seiner Wahl steht der François mit dem Rücken zu Wand. Noch nie war ein gewählter Staatschef nach zwölf Monaten in der öffentlichen Meinung so tief gesunken. Laut (Un-)Popularitätsumfragen hat er drei Viertel der Leute gegen sich. Selten aber auch war der finanzielle und politische Spielraum für die Staatsführung so gering wie heute. Dennoch wird Hollande von allen Seiten zum Handeln in zum Teil völlig entgegengesetzte Richtungen gedrängt. Er muss den Eindruck bekommen, dass er es in Frankreich niemandem recht machen kann.
Bei seiner großen Bilanz-Pressekonferenz am Donnerstagabend bat er seine Landsleute um Zuversicht und Vertrauen und speiste sie mangels greifbarer Resultate im Kampf gegen Krise und Arbeitslosigkeit mit patriotischen Floskeln ab: „Frankreich ist nicht das Problem, Frankreich ist die Lösung.“ Und wenn stattdessen die Lösung Europa heißt?
Er selbst scheint das so zu sehen. Sein zweites Amtsjahr stellt er unter die Devise der „Offensive“. Konkret setzt Hollande die alte Idee einer Wirtschaftsregierung wieder auf die Tagesordnung. Die Eurozone soll eine „echte“ europäische Wirtschaftsregierung mit einem Vorsitzenden bilden, die sich mindestens monatlich trifft, um über eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, eine Harmonisierung der Steuer- und Sozialstandards und einen koordinierten Kampf gegen die Steuerflucht zu diskutieren.
Wachstum als Waffe
Zudem wünscht Hollande, dass „sein“ EU-Wachstumspakt vom Juni 2012 endlich als Waffe zur Förderung der Innovation und der Beschäftigung eingesetzt wird. Auch die von der EU vorgesehenen 6 Milliarden Euro für Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit sollen „sofort“ eingesetzt werden.
Hauptaufgabe der EU ist es gemäß Hollande nicht mehr, auf eine schnelle Sanierung der öffentlichen Finanzen zu dringen, sondern die Rezession und deren soziale Folgen zu bekämpfen. Eines seiner neuen Instrumente soll der alte Traum von einer „Europäischen Energiegemeinschaft“ sein, die ihm zufolge „auf europäischer Ebene die Energiewende und die Förderung erneuerbarer Energiequellen koordiniert“. Hollande weiß nur zu gut, dass er mit seinen – nicht ganz neuen – Vorschlägen einige EU-Partner herausfordert. Sie werden sich beklagen, dass der innenpolitisch in Bedrängnis geratene Sozialist einfach die „heiße Kartoffel“ seines Scheitern nach Brüssel weiterreicht.
Aber der französische Präsident erinnert sich auch, dass ihm vor einem Jahr seine Kritik am „Merkozy“-Stabilitätspakt, den sein konservativer Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy mit der deutschen Kanzlerin vereinbart hatte, über Frankreich hinaus Sympathien und Applaus eingebracht hatte. Er hatte es damals immerhin geschafft, als Fußnote der ratifizierten Vereinbarung über die automatische Schuldenbremse einen bescheidenen Wachstumspakt mit 120 Milliarden Euro für Investitionen anzufügen. Wie er jetzt klargemacht hat, ist damit sein europapolitischer Ehrgeiz nicht erschöpft.
Weckruf für die Schlaffen
Während allerorts die Skepsis gegenüber Europa und dem Euro wächst, will Hollande Europa aus seiner „Schlaffheit“ wecken und die Idee der Gemeinschaft vor dem wachsenden Misstrauen der EU-Bürger retten: „Meine Aufgabe ist es, gegen diese Abneigung der Völker vorzugehen, die die Zukunft der Europäischen Union schlechthin infrage stellen kann.“
Seine „neue Etappe der europäischen Integration“ sieht vor, dass die Eurozone über eigene Budgetmittel verfügt und anschließend auch „die Möglichkeit bekommt, Anleihen aufzunehmen“. Das wäre ein Fehdehandschuh für Angela Merkel, die solche „Eurobonds“ mehrfach strikt abgelehnt hat, weil das aus ihrer Sicht nur eine Vergemeinschaftung der Schulden der weniger sparsamen Mitgliedsländer im Süden zulasten der Sparsamen im Norden nach sich ziehen würde. Hollandes Europa-Offensive dürfte zum Streitpunkt im deutschen Wahlkampf werden.