: Polens Opposition soll erst mal Ruhe geben
Minderheitsregierung will sechs Monate lang ungestört regieren. Die Debatte über Neuwahlen dauert an
WARSCHAU taz ■ Mit einem „Stillhaltepakt“ will Polens Regierung der Opposition den Mund verbieten. Sechs Monate lang sollen die Oppositionsparteien im polnischen Parlament jedes Gesetz der rechtspopulistischen Minderheitsregierung kritiklos durchwinken, keinen Misstrauensantrag stellen und schon gar nicht Kritik am Parlamentspräsidenten üben.
So stellt sich Jaroslaw Kaczyński (57), Parteichef der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Zwillingsbruder des Staatspräsidenten Lech Kaczyński (ebenfalls PiS), die „Stabilisierung“ der politischen Lage vor. Sollte die Opposition diesen Stillhaltepakt nicht schließen wollen, werde sein Bruder das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Das schriftlich vorgelegte Ultimatum läuft Ende Januar aus.
Zu diesem Termin läuft auch die Frist für die Haushaltsabgabe ab, wie die Abgeordneten Anfang der Woche erfuhren. Denn eine Parlamentsauflösung durch den Präsidenten ist nur möglich, wenn die Abgeordneten den Haushalt nicht pünktlich verabschieden. Bislang waren die Parlamentarier davon ausgegangen, dass sie genug Zeit für Beratung und Nachbesserungen hätten. Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz (46) sowie Parlamentspräsident Marek Jurek (45), beide PiS, hatten beruhigt: „Wir können den Haushalt pünktlich abgeben. Wir haben bis zum 19. Februar Zeit.“
Nun erfuhren die Abgeordneten, dass Präsident Kaczyński schon länger ein Rechtsgutachten vorliegt, das den 31. Januar als letzten Termin verbindlich vorschreibt. Der Präsident hielt es nicht für nötig, dies den Oppositionsparteien im Parlament mitzuteilen. Regierungschef Marcinkiewicz meinte kühl: „Es steht in der Verfassung. Jeder kann sie lesen und das Datum selbst errechnen.“ Er habe von dem früheren Abgabedatum schon vor zwei Wochen gewusst.
Später widerrief er diesen Satz und erklärte, das neue Abgabedatum erst seit einer Woche zu kennen, doch es war zu spät. Von der Opposition glaubt ihm niemand mehr: „Betrug!“, schrien die Politiker. „Erpressung! Wie kann man uns so hereinlegen?“
Laut Umfragen würde aus vorgezogenen Neuwahlen im März wieder die PiS als stärkste Kraft hervorgehen. Zweitstärkste Partei würde wie auch jetzt schon die liberalkonservative Bürgerplattform (PO). Die Vereinigte Linke würde mit etwa 12 Prozent drittstärkste. Die übrigen Parteien hätten Probleme, über die Fünfprozenthürde zu kommen. Noch sind auch die Kassen leer, da die Wahlkampfkostenerstattung für Herbst 2005 noch nicht ausbezahlt wurde.
Neuwahlen wie „Stillhalteabkommen“ haben nur ein Ziel: die absolute Mehrheit für die PiS im Parlament. „Wir werden den Streit zwischen Parlament und Präsident vor Gericht bringen“, drohte PO-Vorsitzender Donald Tusk. Es solle entscheiden, ob der Präsident sich das Recht so zurechtbiegen könne, wie es ihm passe. GABRIELE LESSER