piwik no script img

Archiv-Artikel

Im Haus von Adolf Eichmann

TAUT-SIEDLUNG Hinter den Türen der Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung lebten viele Juden und Sozialdemokraten, dann kamen die Nazis. Das Museum Neukölln widmet sich nun der Geschichte der Siedlung vor und nach 1933

Erst verloren politisch links engagierte, dann jüdische Mieter ihre Wohnungen

VON CLEMENS TANGERDING

Leo Hauser, ein jüdischer Neuköllner, überlebte Auschwitz und kehrte zurück nach Berlin. Ein ehemaliger Arbeitskollege bot ihm an, ein Zimmer in seiner Wohnung zu beziehen. Hauser stimmte zu und zog in die Krugpfuhlsiedlung in Britz. Irgendwann erfuhr er, dass in dem Haus, in dem er nun lebte, zwischen 1935 und 1938 Adolf Eichmann mit seiner Familie gewohnt hatte. Von Hausers Lebensgeschichte erfährt der Zuschauer in der Ausstellung „Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933“ im Museum Neukölln. Sie möchte einen Einblick in die Veränderungen der Lebensumstände der Bewohner in den beiden Wohnsiedlungen nach der Machtübernahme 1933 geben.

Die Biografie des 1981 in Israel verstorbenen Berliners steht auf der Rückseite eines Fotos, das die Tür des Hauses zeigt, in dem hintereinander Eichmann und Hauser lebten. Fünfzig dieser Abbildungen mit dahinter verborgenen Lebensgeschichten hängen im Museum von der Decke herab. Die Türfotos auf der Vorderseite lassen nicht erahnen, ob das Haus zur Zeit der Machtübernahme ein Sozialdemokrat oder ein SS-Mitglied bewohnte. Dies erfährt man erst, wenn man das Bild umdreht und die biografische Skizze des Mieters auf der Rückseite liest. Über die Schicksale hinter den Hausfassaden können sich die Besucher zusätzlich mittels Tablet-PCs informieren. Das Menü auf den Bildschirmen bietet eine Suche nach Straßennamen, Personennamen und nach sozialen Gruppen an. So kann man etwa alle jüdischen Bewohner in den beiden Siedlungen oder alle Sozialdemokraten aufrufen. Die Frage ist nur, warum der Besucher auf Namen von Straßen, Hausnummern oder Personen klicken soll, die er allesamt nicht kennt? Sicherlich kann man so einiges über die Brüche im Leben der Bewohner ab 1933 lernen. Nur ist der Erkenntnisgewinn vom Zufallsprinzip geleitet.

Neben den hängenden Türen haben Museumsleiter Udo Gößwald und sein Team eine Stoffbahn in Form der Hufeisensiedlung im Raum befestigt, in deren Mitte ein Tisch für die Computerrecherche steht. An der Außenwand des Ausstellungsraums verläuft ein Zeitstrahl mit den wichtigsten Ereignissen im Reich und in Britz zwischen 1918 und 1945.

Auf diese Elemente beschränkt sich die Ausstellung. Es gibt keinen zusammenhängenden Text, der über die wichtigsten Veränderungen im Lebensalltag in den beiden ab 1925 errichteten Großsiedlungen informiert. Das ist bedauerlich, zumal die Museumsmitarbeiter um Projektleiterin Barbara Hofmann in zweieinhalbjähriger Arbeit erstaunliche Ergebnisse zusammengetragen haben. Diese finden sich im Katalog. Darin wird etwa erklärt, dass bereits 1933 mehr als 400 NSDAP-Mitglieder in den Wohnungen der gewerkschaftlich dominierten Gesellschaften Gehag und Degewo lebten.

Auch zeigen die Autoren, dass sich nur relativ wenige Arbeiter eine Wohnung in den beiden Vorzeigeprojekten des sozialen Wohnungsbaus leisten konnten. Bruno Taut klagte 1930: „Auch wir glaubten 1926 voller Hoffnung, dass es nun ‚bergauf‘ gehen würde. Was aber bergauf ging, war vor allem der Zinsfuß, so dass nach drei Jahren schon dieselbe Wohnung fast um die Hälfte mehr an Miete kostete.“ Aufschlussreich ist auch, dass die Verwaltungsgesellschaft der Hufeisensiedlung, die „Einfa“, Mietbewerber 1929 nach Zugehörigkeit zu politischen Organisationen befragte. Dies brachte den mehrheitlich sozialdemokratisch besetzten Entscheidungsgremien der Siedlungen heftige Vorwürfe von der äußersten Rechten im Berliner Magistrat ein.

Nach 1933 besetzten NSDAP-Funktionäre gemäß der Politik der Gleichschaltung die wichtigsten Posten und sorgten dafür, dass nun Ihresgleichen bei der Vermietung bevorzugt behandelt wurde. Zunächst politisch links engagierte, später vor allem jüdische Bewohner wurden verfolgt und verloren ihre Wohnungen. Die Beiträge des Katalogs machen deutlich, was die Ausstellung samt Titel leider verschweigen: Die Geschichte der Krugpfuhl- und Hufeisensiedlung ist geprägt von richtungsweisenden Ideen für eine Verbesserung des Zusammenlebens, aber auch von verlorenen Idealen und politischen Winkelzügen auf allen Seiten des politischen Spektrums. Das Museum sollte seine Besucher auch mit diesen ernüchternden Fakten über die heutige Unesco-Weltkulturerbestätte konfrontieren.

■ „Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933“ im Museum Neukölln, Alt-Britz 81. Bis 29. Dezember 2013. Der gleichnamige Katalog kostet 18 Euro. Der Eintritt ist frei