: Still, freundlich und subversiv
Das Diözesanmuseum in Köln zählt nicht zu den ärmsten Museen in Nordrhein-Westfalen. Jetzt haben die Kuratoren mal eben aus den eigenen Beständen eine Ausstellung mit Werken der japanischen Künstlerin Leiko Ikemura zusammengestellt
AUS KÖLNKÄTHE BRANDT
Zwei kleine blaue Männlein hängen an langen Schnüren herab. Die rote, stachelbewehrte Öffnung, die sie bedrohlich einsaugt, scheint sie gleichzeitig beschützen zu wollen. Eine andere Zeichnung verbindet mehrere spinnenartige Insekten miteinander und mit einem niedlichen männlichen Tier, dem ein zartes Geweih wie ein Farn aus dem Kopf wächst. Eine Frauengestalt kriecht zu einer der Spinnen hin. Bunte Linien und der spielerische Geist ihrer Entstehung verbinden die gezeichneten Gestalten miteinander. Geschlechtliche Konnotationen sind derart subtil angedeutet, daß nicht sicher ist, ob sie nicht allein der Phantasie des Betrachters entspringen. Vage erkennt man dann Abkürzungen von Geschlechtsteilen auch in anderen Zeichnungen, Codes einer Zeichensprache, die mit Mehrdeutigkeit und Offenheit spielen und deren Faszination in den zurückhaltenden Andeutungen begründet liegt. Leiko Ikemura hat die mehrfarbigen Zeichnungen mit verbundenen Augen gemalt, seltsam stimmig ist nicht nur jede kleine Einzelfigur, sondern die gesamte Figuration. Überlagerungen und Überschneidungen mögen auf das blind Komponierte hinweisen, längst haben die bildnerischen Strategien und Störungen einen eigenen ästhetischen Wert errungen.
Die Künstlerin aus der japanischen Provinz Mie studierte in Osaka und Granada. Sie lebt seit 1984 in Köln. Die Ausstellung im Diözesanmuseum gewährt einen knappen Einblick in ihr vielfältiges Schaffen seit 1983. Das Erzbistum Köln hat vor 17 Jahren die Trägerschaft des Museums, das eines der ältesten in Deutschland ist, übernommen. Damit wurde auch seine einstige Funktion als christlicher Kunstverein erweitert. Was früher eine durch Schenkungen eher zufällig gewachsene Sammlung war, wird heute systematisch ausgebaut. Mehrere Kunsthistoriker haben den klerikalen Beraterstab abgelöst und sind neben den Konservatoren für die Präsentation und den weiteren Aufbau der Sammlung zuständig. Die Künstlerliste ist beachtlich und international. Die Höhe des Etats, der jährlich für Ankäufe zur Verfügung steht, ist nicht bekannt. Er würde wahrscheinlich bei den kirchlichen Institutionen, die von den aktuellen Sparmaßnahmen besonders hart betroffen sind, auch eher Neid hervorrufen – womöglich zu Recht. Die Ausstellungen des Diözesanmuseums sind nicht auf Leihgaben angewiesen, sie werden, auch bei Leiko Ikemura, ausschließlich aus dem eigenen Bestand bestückt. So sind Ankaufspolitik und kuratorische Praxis auch personell kaum zu trennen.
Die an mysteriöse Röntgenaufnahmen erinnernden Chemigramme, die Ikemura in einer lichtlosen Dunkelkammer mit Entwickler auf Fotopapier gemalt hat, lassen auch hier den taumelnden Pinselstrich einer nicht kalkulierten Malerei erkennen. Beunruhigend verschwimmen die Formen, figurieren sich neu, konzentrieren sich in undurchdringlicher Schwärze. Ganz anders die freundlichen Terrakotta-Plastiken neben dem Bild einer wunderschönen spätmittelalterlichen Madonna von Stefan Lochner. Menschliche Büsten, Köpfe, Ganzfiguren leuchten dick glasiert, strahlen in heller Farbigkeit. Erst auf den zweiten Blick gewahrt man die Unstimmigkeiten und Mutationen der Figuren. Mit einem Mal werden die menschlichen Gesichter zu Tierschnauzen, die Arme oder Beine zu Pfoten, die Körper zu Gefäßen. Gestalten figurieren sich, um sich einen Moment später wieder zu verwandeln.
Ikemuras Ausstellung ist eine der letzten im Haus. Der vom Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfene Neubau des Museums auf dem Grundstück der ehemaligen Minoritenkirche St. Kolumba ist beinah vollendet und soll bereits Ende des Jahres bezogen werden. So wirken die freundlich-subversiven Werke ungewollt etwas verloren in dem fast geschlossenen Museum.
Leiko IkemuraBis 22. Februar 2006Infos: 0221-2577672