Kielwasser des Kartoffelseglers

Herrmann und Elise Jacobs waren schon immer „Meckerfritzen“. In der jungen niederländischen Kunst entdeckten sie den Gegenpol zum deutschen Fifties-Mief. Nun ehrt sie eine Ausstellung

Bremen taz ■ Am Anfang war ein Kartoffelsegler. Herrmann und Elise Jacobs, Absolventen der Bremer Kunsthochschule, schipperten Anfang der 50-er Jahre durch das unbekannte Nachbarland, drei Meter unter dem Meeresspiegel, und fanden eine Lebensaufgabe. Das deutsch-niederländische Verhältnis war schwer belastet damals. Die Verwundungen, die Deutschland dem Nachbarn zugefügt hatte, habe man „unter Adenauer unter den Teppich gekehrt“, sagt Elise Jacobs. Von der niederländischen Kunstszene aber wurden sie offen empfangen. Im Büro des Amsterdamer Stedelijk Museum händigte man ihnen ganz unkompliziert die Adressen der Künstler aus, die sie dort entdeckt hatten. Das Leitmotiv einer fast 30-jährigen Galeristentätigkeit war geboren: Junge niederländische Kunst.

Die Städtische Galerie ehrt die Erfinder der „Galerie im Winter“ jetzt mit einer Retrospektive. „Äußerlich ruhige, dezidierte Provokateure“ nennt sie Hans-Joachim Manske, Chef der Städtischen Galerie – und das ist als großes Kompliment gemeint. „Wir sind große Meckerfritzen“, drückt es Herrmann Jacobs selbst aus. Politisches Unbehagen war ein Antrieb ihrer Vermittlungsarbeit in Deutschland. „Aber heute ist es in den Niederlanden so schlimm wie hier. Die sind konservativ geworden.“

Spröde, gradlinig, minimalistisch – so lassen sich viele der jetzt gezeigten Highlights beschreiben. „Ja, die Niederländer ticken anders, weniger emotional“, resümiert Herrmann Jacobs. Er weist auf die Stahlkuben von Cor van Dijk, von denen eine kafkaeske Klaustrophobie ausgeht. Was von der einen Seite wie Durchbrüche in den verschweißten Stahlfronten aussieht, erweist sich als trügerisches System von ineinander geschachtelten Wänden. „Einer meiner Lieblinge, sehr konstruktiv“, schwärmt Herrmann Jacobs.

Fons Brasser kommentierte in den 80-er Jahren mit „Berlin gesperrt“ deutsche Zeitgeschichte: Mit dokumentarischer Genauigkeit fotografierte er stillgelegte U-Bahn-Stationen und machte die erzwungene Unbeweglichkeit in der DDR augenfällig. Auch Lucebert, in den Niederlanden als Autor wie als Maler populär, sammelte seine Erfahrungen mit dem Osten Deutschlands: Er folgte in den fünfziger Jahren einer Einladung Bert Brechts nach Berlin. „In der Wohnung, die ihm angewiesen wurde, standen noch die Kaffeetassen auf dem Tisch. Die vorigen Bewohner waren Hals über Kopf verhaftet worden“, erinnert sich Elise Jacobs. In der Städtischen Galerie ist Lucebert mit Gemälden vertreten, die eine geradezu haarsträubende Ähnlichkeit mit denen Picassos aufweisen.

Ein weiterer Star ist Jan van Munster. Für die Städtische Galerie war seine Installation mit vereisten und glühenden Stäben eingeplant. Ein Eisstab wird zu sehen sein, die Glühstäbe aber sind an den deutschen Sicherheitsvorschriften gescheitert. Herrmann Jacobs zuckt die Achseln. „Wir sind halt nicht in den Niederlanden.“ Annedore Beelte

Eröffnung heute, 19 Uhr, Städtische Galerie Bremen