WARUM EIN LESBEN- UND SCHWULENVERBAND DEN MUSLIM-TEST BEGRÜSST : Autoritäre Versuchung
Der Irrglaube ist weit verbreitet, dass Angehörige von Minderheiten anderen Minderheiten mit besonderer Sensibilität begegneten. Müssten sie nicht eigentlich den Schulterschluss üben, weil sie doch die Erfahrung der Diskriminierung eint? Das Gegenteil ist oft der Fall: Statt Solidarität herrscht eine Konkurrenz der Opferdiskurse, nach dem Motto: Ich werde mehr diskriminiert als ihr.
Beispiele in der Geschichte gibt es dafür genug. So geht es nun auch dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD,) dessen Landesverband in Berlin den Muslim-Test offiziell begrüßt hat. Er hält es für richtig, dass Einbürgerungswilligen dort Fragen gestellt werden, die ihre Einstellung zur Homosexualität prüfen. Mehr als das: Er hat sogar den Berliner Senat und die Landesregierung von Brandenburg aufgefordert, dem Beispiel zu folgen und diese Praxis zu übernehmen.
Das überrascht insofern, als der Berliner LSVD damit allein auf weiter Flur steht: Kirchen, Gewerkschaften und selbst viele CDU-Abgeordnete sind inzwischen von dem Vorschlag der baden-württembergischen Landesregierung abgerückt. Es zeigt aber, das auch ein Verband wie der Berliner LSVD nicht gegen die autoritäre Versuchung gefeit ist, im Kampf gegen die eigene Diskriminierung auch auf repressive Mittel zu setzen, die geeignet sind, eine andere Minderheit auszugrenzen.
Niemand hat solche autoritären Reflexe, die in Teilen des vermeintlich liberalen Bürgertums und natürlich auch beim manchen Lesben und Schwulen verbreitet sind, besser bedienen können als der 2002 ermordete niederländische Rechtspopulist Pim Fortuyn: Er stand stolz zu seiner Homosexualität und fuhr einen harten Kurs gegen Muslime. Auch die CDU versteht es inzwischen, auf der Klaviatur solcher Stimmungen zu spielen, indem sie mit Lockangeboten wie dem Muslim-Test um eine verängstigte, urbane Klientel wirbt.
Für den LSVD stellt sich allerdings die Frage, ob er sich nur als Interessenvertretung deutscher Schwulen und Lesben versteht. Denn viele schwule und lesbische Migranten sind von dem Vorstoß des Verbands keineswegs begeistert. DANIEL BAX