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Archiv-Artikel

„Dieses Stück muss gar nichts“

MEESE Generation Privatfernsehen denkt nach: Antú Romero Nunes inszeniert im Studio des Maxim Gorki Theaters Oliver Klucks „Das Prinzip Meese“

Stellen Sie sich vor, einer dieser jungen Leute würde in Ihre sinfonischen Konzerte kommen, um in das Pianissimo zu niesen. Oder würde die Malerin auf der Vernissage nach dem Sinn Ihres Gekrakels fragen. Oder würde Ihre Tochter des Nachts rhythmisch mit dem Kopf gegen den Bettpfosten stoßen und Ihnen am nächsten Morgen mit offenem Hemd am Frühstückstisch gegenübersitzen. Na, Schreck gekriegt?

Wenig bedrohlich

Es ist eine wenig bedrohliche Horrorvision für bildungsbürgerliche Elterneliten, die der junge Dramatiker Oliver Kluck, Jahrgang 1980, in seinem Theatertext „Das Prinzip Meese“ entwirft. Wenig bedrohlich ist sie schon deshalb, weil sie sich ohnehin nie realisieren wird. Die jungen Leute kriegen ihren Hintern in Klucks Stück sowieso nicht hoch. Zu einem derartigen Szenario des Schocks könnten sie sich erst recht nicht aufraffen.

Zwei dieser gut ausgebildeten, aber bloß rumhängenden, Privatfernsehen-glotzenden, sich mit temporären Jobs oder Papas Dauerauftrag und vor allem ohne Träume und Visionen über Wasser haltenden Exemplare kann man nun im Studio des Maxim Gorki Theaters bestaunen. Dort hat der ebenfalls junge Regisseur Antú Romero Nunes, Jahrgang 1983, Klucks Stück nun uraufgeführt. Und bestaunen kann man auch, wie charmant beiläufig und spielfreudig Anika Baumann und Michael Klammer den nicht eben formüblichen Kluck-Text, der beim Stückemarkt des Theatertreffens 2009 mit dem Förderpreis für neue Dramatik ausgezeichnet wurde, unter die sich bestens unterhaltenden Zuschauer bringen.

In schlunzigen Sportklamotten lümmeln die beiden auf einem Matratzenlager, bauen sich daraus Höhlen, türmen Kissen oder knautschen sich hinein. Klammer schiebt gern die Hände unter die Achseln, Baumann ist ein umwerfend rotziger Ausbund an Schlagfertigkeit. Wenn er die Glotze einschaltet, singt sie irgendwo im Dunkeln sehr schön Mads Langers „Beauty of the Dark“. Locker spielen sie diverse Popkultur-Posen und Fernsehbilder an. Klammer hüllt kulturbeflissene Sätze in heftige Reich-Ranicki-Parodien. Baumann klemmt sich das T-Shirt als Badeanzug zwischen die Beine, und fertig ist die Baywatch-Bombe. Immer sind die beiden dabei umgangssprachlich flachsend unterwegs und changieren unangestrengt zwischen den Ebenen, ohne dass dem Zuschauer davon der Kopf schwirren müsste: „Sie wissen gar nicht, ob ich das hier spiele oder ganz privat rumfläze“, adressiert Baumann die Zuschauer.

Prätentiöses eindämmen

Regisseur und Schauspieler nehmen sich mit dem Text alle möglichen Freiheiten heraus. Da ist einiges gestrichen oder umgestellt. Verschwiemelt daherkommende Formulierungen Klucks werden ironisch auf die spitze Zunge genommen und dadurch auch das bisweilen Prätentiöse des Textes wohltuend eingedämmt. Vor allem aber erweist sich die Offenheit dieses prosaartigen Gespinstes aus Monologen und Einzelsätzen gegenüber der szenischen Umsetzung als sehr produktiv – und als ideale Andockstation für die reichlichen Improvisationen der Schauspieler.

„Das Theater braucht dieses Stück nicht, man kann es nicht abonnieren, es gewinnt keine Nachwuchstheaterpreise, es trägt nicht dazu bei, den Lebensunterhalt des Autors zu sichern. Dieses Stück muss kein Erfolg werden, es muss gar nichts müssen“, heißt es in dem Vorwort, das Kluck seinem Text vorangestellt hat. Dieser kokett-unverschämten Tiefstapelei läuft das Darauffolgende natürlich zuwider. Denn Kluck will nicht weniger als das Grundgefühl einer Generation einfangen. Und weil er genau das auf bestechende Weise schafft, braucht das Theater dieses Stück eben doch. ANNE PETER

■ Nächste Termine: 19. Februar, 2., 27. und 23. März, jeweils 20.15 Uhr. Gorki Studio