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Archiv-Artikel

Fleischersatz im Briefkasten

IMITATE Lamm, Schwein, Huhn oder Thunfisch – alles vegetarisch. Die Import-Produkte aus Taiwan kann man im Bremer Restaurant Vegefarm probieren oder beim gleichnamigen Versandhandel bestellen

Sie würden gern auf Cholesterin verzichten, aber nicht auf Fleisch? Sie haben ein Problem mit der kapitalistischen Tierhaltung, essen aber gerne Hühnchen? Dann sind vielleicht die Produkte des Bremer Versandhandels Vegefarm etwas für Sie. Hier gibt es Hühnchennuggets, Hühnerschenkel, Schweineschnitzel und Thunfischsteak – alles ohne Fleisch, fast alles rein pflanzlich.

Die studierte Ernährungswissenschaftlerin Lo-Ping Tu vertreibt seit rund acht Jahren bundesweit Produkte, die in dieser Tradition stehen. Ihre Familie kommt aus Taiwan, wo diese Form der Ernährung bis heute intensiv gepflegt wird. Schon vor Jahrhunderten ersonnen buddhistische Mönche in Südostasien Mittel und Wege, Fleisch ohne Reue genießen zu können. Und schufen aus Soja, Weizen, Shiitake-Pilzen, Yams und Algen Gerichte, für die kein Tier sterben musste, die aber in Geschmack und Konsistenz wie Fleischgerichte schmecken sollten.

Wie ausgefeilt die Kultur des fleischlosen Fleischs derweil entwickelt ist, lässt sich hübsch ablesen an der Kritik hiesiger Vegetarier und Vegetarierinnen. Laut Tu lehnten in seltenen Fällen „langjährige Vegetarier unsere Nachahmungen als zu fleischig ab“, verriet sie einmal dem Spiegel. Was nicht heißt, dass die Fleischimitate in jedem Fall der Vorlage zum Verwechseln ähneln, nicht alles lässt sich gleich gut nachahmen. „Am schwierigsten ist Fisch“, erklärt Tu. Der Geschmack sei dabei das kleinere Problem. Vor allem die Konsistenz zu erzielen, sei schwierig, weshalb die Auswahl hier eher klein ist und nicht zufällig festeres Fleisch wie Thunfisch und Lachs nachahmt.

Je nach Fleischsorte bestehen die Imitate aus verschiedenen Zutaten und Kombinationen, die wichtigsten Bestandteile sind Seitan, Shiitake-Pilze, Soja und Yams. „Yam ist meistens in den Meeresfrüchten, weil es sehr stärkehaltig ist“, erklärt Tu. „Viele Sachen enthalten Sojaeiweiß und Sojafasern, bei deftigen Sachen wie Lamm sind meist Shiitake-Pilze dabei.“

Die Produkte des Versands kommen direkt aus Taiwan. Der Hersteller in Taiwan wiederum bezieht seine Waren aus lokaler Produktion, von Bauern, die zwar nicht bio-zertifiziert sind, das sei zu teuer, wie Tu erklärt. „Auf organischen Anbau wird aber Wert gelegt. In Taiwan wollen die meisten Menschen Bio-Produkte. Es werden dort auch kaum noch Pestizide in der Landwirtschaft benutzt. Dort ist man viel weiter als hier. Viele Produkte werden auch für den japanischen Markt produziert, wo vor allem Organic Food nachgefragt wird.“

Tu selbst ist in Deutschland aufgewachsen, hat aber ein Jahr in Taiwan gelebt, um die dortige Kultur kennenzulernen. „Rund 16 Prozent der Bevölkerung dort sind Vegetarier oder Veganer.“ Zum Vergleich: Der Vegetarierbund Deutschlands schätzte den Anteil der Vegetarier an der deutschen Bevölkerung vor zwei Jahren auf acht Prozent.

Tu selbst erinnert sich, in den frühen neunziger Jahren das erste Mal mit Fleischimitaten in Berührung gekommen zu sein. „Ich habe Fleisch nie gerne gegessen. Aber in den achtziger Jahren gab es kaum Ersatz für Fleisch oder andere Produkte. Es war anstrengend, fleischlos zu essen. Mein Gaumen ist durch die asiatische Küche geprägt, und das war ein bisschen konträr zu dem, was es in Deutschland gab.“

Inzwischen hat sich das geändert. „Die Leute reagieren tendenziell sensibler“, hat Tu beobachtet. Allerdings bedeutet das nicht notwendig, dass die Vegefarm deswegen expandieren würde. „Wir sind ein kleiner Familienbetrieb. Wir sind zu fünft, und wir fünf machen auch alles“ – also nicht nur den Versandhandel, sondern seit etwas über fünf Jahren auch das Restaurant Vegefarm, in dem mit Produkten aus dem Versandhandel gekocht wird. Die Küche bietet klassische taiwanesische Hausmannskost, das Interieur ist minimalistisch – eine ästhetische Konsequenz, die zur vegetarisch-veganen Ausrichtung der Speisekarte passt. Purismus auf allen Ebenen, sozusagen.

Missionieren will Tu aber niemanden: „Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er vegetarisch oder vegan leben möchte. Wenn wir Menschen dazu kriegen, die Sachen zu probieren und einfach mal darüber nachzudenken, hat man eine größere Wirkung als wenn man ihnen immer sagt, dass Fleischkonsum nicht in Ordnung ist.“  ANDREAS SCHNELL

www.vegefarm.de; Restaurant Vegefarm, Hamburger Str. 45-47, Di–Sa 12–23 Uhr, So 17–23 Uhr