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Archiv-Artikel

„Ich bin die Mutter, er ist der Opa“

CANTAORA Die Sängerin Amparo Sánchez über die Krise in Spanien, ihre häufigen Reisen nach Lateinamerika, die junge Mestizo-Szene in Barcelona und ihren Förderer Manu Chao

Amparo Sanchez

■ Mit der Band „Amparanoia“ wurde sie bekannt, seit 2006 ist Amparo Sanchez als Solo-Sängerin unterwegs, zuletzt auch häufig mit Calexico. Ihr neues Album „Alma de Cantaora“ (Galileo) hat sie mit wenig Instrumenten, aber vielen Freunden aufgenommen.

INTERVIEW ZONYA DENGI

taz: Frau Sánchez, wie ist die Stimmung in Spanien derzeit?

Amparo Sánchez: Die Leute sind desillusioniert, es gibt täglich deprimierende Nachrichten. Man hört von Menschen, die Selbstmord begehen, weil sie auf die Straße gesetzt wurden oder die Kredite für ihre Häuser nicht mehr bezahlen können. Und die Regierung macht das Gegenteil von dem, was sie vor den Wahlen versprochen hat.

Was ist vom Sozialprotest der „Indignados“, der „Empörten“, in Spanien geblieben?

Es gibt ihn noch, aber er hat sich in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Er richtet sich vor allem gegen drei große Probleme: gegen die Privatisierung des Gesundheitssektors, gegen das Bildungssystem – und gegen die Banken. Jede Woche gibt es deswegen Proteste. Aber die Leute sind müde von den vielen Korruptionsskandalen, die uns bis hin zum Königshaus täglich erschüttern. Sie müssen erst wieder ihre Kräfte sammeln.

Sie sind viel in Lateinamerika unterwegs. Warum?

Anfangs habe ich Ranchero-Lieder aus Mexiko und Son aus Kuba gesungen, ohne je in diesen Ländern gewesen zu sein. Die Musik ist der Grund, warum ich reise: Ich entdecke andere Länder und Menschen wegen der Musik. Ich liebe die Klänge Mexikos und Kubas. Und es gibt viele Querverbindungen zwischen Spanien und Lateinamerika. Es gibt noch viel zu entdecken.

Wie erleben Sie die Stimmung in Lateinamerika?

Als ich die ersten Male in Argentinien und Mexiko war, herrschte dort eine revolutionäre Stimmung. Jetzt ist die Stimmung in Lateinamerika viel optimistischer, positiver. Alle meine argentinischen Freunde, die nach Spanien gezogen waren, sind inzwischen wieder nach Argentinien zurückgekehrt. Jetzt hat sich die Lage umgekehrt: Diesen Ländern geht es gut. Und uns hat die Krise eingeholt.

Ihr Album heißt „Alma de Cantaora“, die Seele der Sängerin. Wer ist damit gemeint?

Man ist eine Cantaora, wenn man singt, was man singen muss. In Spanien werden damit Flamenco-Sängerinnen bezeichnet, in Lateinamerika alle Sängerinnen. Es gab eine Zeit, in der es unüblich war, eine Frau auf der Bühne zu sehen. Es ist eine Hommage an die ersten Frauen, die sich das getraut haben.

Die meisten Stücke bestehen nur aus Gitarre, Kontrabass und Stimme: Warum so ein reduziertes Soundgewand?

Ich wollte ein nacktes, akustisches Album machen. Die Leute sind aufmerksamer, wenn es nicht zu viele Instrumente gibt, die sie ablenken. Es hat aber noch einen Vorteil: Man hat nicht so viel Gepäck zu tragen. In Mexiko war ich einmal ganz allein unterwegs, nur ich und meine Gitarre. Das gibt mir Freiheit. Ich muss nicht alles mit einer Gruppe absprechen und vorbereiten.

Im Song „La Flor de la Palabra“ zitieren sie den Subcomandante Marcos. Warum?

Die Bewegung der Zapatisten ist mir sehr wichtig. Es ist schon 13, 14 Jahre her, dass ich das erste Mal in ihrer Region war, in Chiapas. Das war eine besondere Erfahrung. Ich möchte ihnen zurückgeben, was sie mir gegeben haben. Der Song ist all jenen gewidmet, die sich für andere Menschen einsetzen, aber nicht im Rampenlicht stehen.

Was beeindruckt Sie an den Zapatisten?

Ihre Form der Selbstorganisation, ihr Respekt vor der Natur. In den indigenen Gemeinden der Zapatisten leben Zapatisten und Nichtzapatisten zusammen. Alle für einen, nichts für uns – das ist ihr Motto. Ich war kürzlich in Saragossa, auf einem Treffen von Zapatisten und ihren Unterstützern. Es ist immer noch eine sehr interessante Bewegung – ich lade jeden ein, sich selbst ein Bild zu machen. Die Hoffnung, die Energie, das ist etwas Besonderes. Sie sind nicht mehr so stark in den Nachrichten. Manche denken deshalb, es ist wie eine Mode, die vorbei ist. Aber sie arbeiten weiter, im Stillen. Der Kampf geht jeden Tag weiter.

Tangiert Sie der Drogenkrieg, der in Mexiko tobt?

Die Zapatisten leben im Süden – nicht im Norden, wo sich das Narco-Problem konzentriert, und nicht in den Städten, sondern abgeschieden, in den Bergen. Sie haben vor allem Probleme mit der Regierung und der Gewalt der Paramilitärs. Drogen und Alkohol sind bei ihnen komplett verboten, weil sie zu Gewalt führen, das haben die Frauen so durchgesetzt. Sie arbeiten auf den Feldern und bestellen das Land mit Mais und Kaffee.

Was ist aus der Szene der Mestizo-Bands in Barcelona geworden? Gibt es sie noch?

Es gibt eine neue Generation von jungen Bands wie Bongo Botrako und Che Sudaka, die den Geist des Mestizo, dieser Melange der Stile, weitertragen. Die Szene ist größer geworden: Diese Bands spielen auf großen Festivals, laufen im Radio und ziehen ein sehr junges Publikum. Sie sind über das Internet gut vernetzt und besitzen viel Energie, Engagement und Illusionen. Unsere Generation war im Vergleich dazu noch sehr limitiert. Aber ich lerne von ihnen – den Umgang mit den neuen Technologien zum Beispiel.

Haben Sie noch Kontakt zu Manu Chao, der Sie am Anfang Ihrer Laufbahn unterstützt hat?

Er hat gerade eine Tournee in Australien hinter sich gebracht und war kürzlich mal wieder in Barcelona. Er wird im Sommer Konzerte in Galicien und Andalusien geben. Er hat viele neue Stücke, aber die sind in seinem Computer: Er will im Moment kein neues Album aufnehmen.

Wie ist sein Verhältnis zu der Szene in Barcelona?

Wir müssen ihm dankbar sein, er hat die Tür für die Szene in Barcelona geöffnet. Wären sonst so viele Journalisten nach Barcelona gereist, um Bands wie Ojos de Brujo oder Macaco dort aufzuspüren? Wir sind wie eine große Familie, jeder kennt jeden, und manchmal feiern wir auch zusammen. Er ist der Großvater der Szene, ich bin die Mutter.