Schluss mit dem Matriarchat im Hühnerstall

ERFOLG Viele männliche Küken werden nach dem Schlüpfen getötet. Doch einige Biohöfe machen da nicht mit: Sie halten „Zweinutzungshühner“

AUS HASENFELDE JOST MAURIN

Weg von diesem Kükenmord“ wollte sie, erzählt Landwirtin Anne Reinsberg. Weg davon, dass die Brüder ihrer Legehennen kurz nach dem Schlüpfen getötet werden – weil sie keine Eier legen und für die Mast zu langsam wachsen.

Schließlich sind die heute üblichen Hühner extrem spezialisiert gezüchtet worden. Die Tiere liefern entweder viele Eier oder viel Fleisch – aber nie von beidem genug, um rentabel zu sein. Deshalb landen die männlichen Küken von Legehennenlinien am ersten Lebenstag in Tonnen, in denen sie mit Kohlendioxid erstickt werden. 40 Millionen Mal im Jahr passiert dieser „Kükenmord“ in Deutschland – auch für die Bioproduktion.

Das ist nichts für eine wie Anne Reinsberg, 35 Jahre alt, schlagfertig, Absolventin von Deutschlands einzigem Uni-Fachbereich für Ökologische Agrarwissenschaften im hessischen Witzenhausen. Gemeinsam mit Ehemann Jörn Köhne hält sie auf ihrem Hof im brandenburgischen Dorf Hasenfelde seit 2011 rund 600 Zweinutzungshühner: eine Rasse, die sowohl Eier als auch Fleisch für die Biobranche in akzeptabelen Mengen liefert.

Reinsberg hat es geschafft, auf den Kükenmord zu verzichten. Genauso wie vier andere Höfe in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die an dem Projekt „ei care“ des Bio-Anbauverbands Naturland und des Berliner Ökogroßhändlers Terra teilnehmen. Auch in anderen Regionen gibt es Biobetriebe, die Zweinutzungshühner haben.

Gerade kommen die Tiere angerannt, weil Reinsberg ihnen aus einem Eimer Getreide auf den Boden geworfen hat. Flink scharren sie nach den Körnern und picken. Die Hühner haben weiße Federn und bläulich schimmernde Füße. Daher hat diese Rasse ihren Namen: Les Bleues. Französisch, weil sie aus der Region Bresse stammt.

Die Hühner wirken etwas kräftiger als die Standardlegehennen, denn sie setzen mehr Fleisch an. Dafür verbrauchen sie Reinsberg zufolge auch etwa 10 Prozent mehr Futter, und Futter kostet Geld. Im Schnitt habe eine „Bleue“ auf ihrem Hof 180 bis 200 Eier pro Henne und Jahr geschafft. Das seien rund 30 bis 40 Prozent weniger, als der sehr weit verbreitete Typ Lohmann Brown Classic in Biohaltung liefert. „Les Bleues fressen mehr und legen weniger. Das ist eine ungünstige Kombination“, sagt Reinsberg.

Dafür bekommt die Landwirtin aber auch von Großhändler Terra rund 70 Prozent mehr pro Ei: derzeit 30 Cent netto. Die Verbraucher zahlen ebenfalls einen Aufschlag in dieser Größenordnung. Das ergibt meist einen Endpreis von 55 bis 60 Cent, inklusive Mehrwertsteuer.

Die Brüder der Legehennen sind bisher auf dem Hof von Frank Thumernicht, 60 Kilometer südöstlich von Hasenfelde, gemästet worden. Thumernicht kaufte die Eintagesküken von der Brüterei Hetzenecker in Bayern. Als sie rund 12 Wochen alt waren, wurden die Hennen zu Reinsberg gefahren und legten dort etwa ein Jahr lang Eier – bevor sie als Suppenhuhn endeten. Die Hähne mästete Thumernicht und ließ sie später schlachten.

Auch bei der Fleischproduktion ist ihr Ertrag etwas schlechter als der von sonst üblichen Hühnern. „Aber im Muskel haben sie mikroskopische Fetteinlagerungen, so dass das Fleisch beim Braten nicht trocken und zäh wird“, sagt Brüterei-Inhaber Christian Hetzenecker. In Frankreich werden die Tiere als Bresse-Hühner – eine Delikatesse – verkauft. Zudem bekommt auch Thumernicht mehr für seine Produkte als für normale Bioware. Den Verbraucher kostet ein Kilogramm „ei care“-Hähnchen zum Beispiel knapp 14 Euro – rund 20 Prozent mehr.

Trotz der Aufpreise steigt der Absatz. Großhändler Terra verkauft nach eigenen Angaben jede Woche 13.000 „ei care“-Eier – fast viermal so viel wie vor einem Jahr. Auch der Fleischabsatz hat zugelegt. Er ist allerdings zu niedrig: Terra hat viel mehr Les Bleues im Tiefkühlhaus einlagern müssen, als sich verkaufen ließen. Bauer Thumernicht hat deshalb seine Les-Bleues-Mast bis auf Weiteres gestoppt, jetzt müssen andere „ei care“-Betriebe die Jungtiere aufziehen. „Bisher haben wir sie als ganze Zwei-Kilo-Hähnchen angeboten. Viele Leute lassen sich von so viel Fleisch abschrecken“, sagt Franziska Näkel, die das Projekt für Terra koordiniert. Außerdem wüssten viele Kunden nicht, dass dort, wo Eier gelegt werden, später auch Fleisch anfällt, das dann gegessen werden müsse. Jetzt will der Händler die Bleues zu Aufschnitt oder anderen Produkten weiterverarbeiten lassen.

Es gibt auch Kritik an Projekten wie „ei care“. Veganer weisen darauf hin, dass auch das Zweinutzungshuhn kein glückliches Huhn sei und am Ende ja ebenfalls getötet werde. Und der von konventionellen Betrieben dominierte Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft argumentiert, das Zweinutzungshuhn verwerte das Futter zu schlecht – was nicht nur das Budget der Landwirte, sondern auch die Ökobilanz belaste. Mehr verspricht sich der Verband von Versuchen, das Geschlecht der Hühner bereits im Ei zu erkennen. Dann würden die untauglichen Hähne gar nicht erst schlüpfen.

Anne Reinsberg kann das nicht überzeugen. Die Geschlechtserkennungsmethoden seien noch lange nicht praxisreif. Und: „Sie werden wohl auch so teuer, dass sie sich nur für große Betriebe tragen.“