: Hungern für Bewegung
FLÜCHTLINGE Bewohner in bayerischen Asylbewerberheimen sind seit Wochen im Hungerstreik. FDP und Opposition unterstützen sie, die CSU bleibt hart
THOMAS OTT, HILFSORGANISATION „KARAWANE“, ÜBER DIE ASYLBEWERBER IM HUNGERSTREIK
MÜNCHEN taz | Sie werden schwächer mit jedem Tag. Sie haben Gewicht verloren, sind wütend, weil nichts passiert. Seit nun zwei Wochen sind Bewohner der Flüchtlingslager in den niederbayerischen Orten Hauzenberg und Breitenberg im Hungerstreik. Sie fordern, sich frei bewegen zu dürfen, nicht nur in ihrem Landkreis. Sie wollen arbeiten, ohne monatelang auf eine Genehmigung zu warten. Sie wollen ihr Essen selbst einkaufen und sich nicht länger von den Lebensmittelpaketen der Behörden ernähren müssen. Der Hungerstreik ist ein Hilferuf.
„Ich kann schon verstehen, dass eine gewisse Ungeduld vorhanden ist“, sagt Brigitte Meyer von der FDP, die Vorsitzende des Sozialausschusses im bayerischen Landtag. Seit Monaten kämpft sie für bessere Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Bayern.
Kein Bundesland behandelt Asylbewerber und Flüchtlinge so hart. Sie leben oft jahrelang in engen, heruntergekommenen Sammellagern. Opposition und FDP wollen die strenge Lagerpflicht loswerden und Flüchtlinge lieber schnell in Privatwohnungen unterbringen. Die CSU bewegt sich nur zaghaft. Die CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer ließ ein paar besonders schäbige Unterkünfte schließen.
Im Januar hat die CSU-Landtagsfraktion ein strammes Positionspapier beschlossen. Darin werden ein paar Ausnahmen von der Wohnpflicht in den Lagern in Aussicht gestellt, doch das strenge System der Lager, der Essenspakete und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit soll nach dem Papier erhalten bleiben. „Die Hardliner haben sich durchgesetzt“, kommentierte Renate Ackermann von den Grünen.
„Wir sind im Moment noch weit voneinander entfernt“, meint Brigitte Meyer von der FDP. Im März will sie zu einer Einigung mit der CSU kommen. Wie weit der Weg dahin noch ist, zeigt die Reaktion von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf den Hungerstreik der Flüchtlinge. Herrmann erklärte, deren Forderungen seien „überzogen“.
Die Lager, in denen nun die Flüchtlinge rebellieren, sind dabei nicht so schäbig wie andere bayerische Flüchtlingsunterkünfte. Die Bewohner fühlen sich eher psychisch zermürbt. Die Unterkunft von Hauzenberg etwa liegt mitten im Bayerischen Wald, abgeschieden von allen größeren Städten. Schon 2008 berichteten die Zeitungen von einem Selbstmordversuch eines Bewohners. Dieses Wochenende versuchte sich erneut ein Flüchtling das Leben zu nehmen. In Hauzenberg verweigern derzeit noch acht Bewohner die Nahrungsaufnahme.
Die Behörden haben wenig Verständnis für den Hungerstreik. „Ich habe das Gefühl, dass das nicht von den Asylbewerbern allein gespeist wird“, sagt der Regierungspräsident von Niederbayern, Heinz Grunwald, zur taz. Dafür gebe es zahlreiche „Indizien“. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am Wochenende von einem „Hungerstreik light“ und wirft den Flüchtlingen vor, sich für die Medien zu inszenieren. Sie lägen nicht geschwächt in ihren Betten und würden Traubenzucker essen.
„Man sieht es den Leuten an“, sagt dagegen Thomas Ott von der Hilfsorganisation Karawane München, der die Hungerstreikenden am Wochenende besucht hat. Den Traubenzucker würden sie auf ärztlichen Rat einnehmen. „Der Vorwurf, wir hätten den Hungerstreik angezettelt, ist an den Haaren herbeigezogen“, sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Man sei erst von den Lagerbewohnern informiert worden, als der Hungerstreik schon begonnen habe. Der Flüchtlingsrat versuche alles, um die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen.
Als im schwäbischen Nördlingen die Lagerbewohner diskutierten, ob sie ebenfalls in einen Hungerstreik gehen sollten, kamen Helfer vom Flüchtlingsrat zum Gespräch. Die Flüchtlinge entschieden sich gegen einen Streik. BERNHARD HÜBNER