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Archiv-Artikel

„Viele sehen mich als Proll“

Der Regisseur Peter Thorwarth hat mit „Goldene Zeiten“ seinen dritten Film über Kleingangster und einfache Leute aus dem Ruhrgebiet gedreht. Der 34-Jährige aus Unna über Proleten, sein Heimatgefühl und die neoliberale Lüge

INTERVIEW THOMAS LINDEMANN

taz: Herr Thorwarth, am Donnerstag kommt „Goldene Zeiten“ ins Kino, der letzte Teil Ihrer Filmtrilogie über Ihre Heimatstadt Unna. Sie machen seit sieben Jahren Filme über Kleinkriminelle, Parvenus und Wichtigtuer aus dem Ruhrgebiet. Zeigen Sie die Wirklichkeit?

Peter Thorwarth: Ich lebe seit Jahren in Berlin, aber wenn ich Unna besuche, erschreckt es mich manchmal, wie viel härter es in dieser Kleinstadt zugeht, als in meinen Filmen. Drogen, Betrügereien, Prostitution, alles in Ausmaßen, die ich mir kaum ausdenken könnte.

Wie kamen Sie dazu, drei Studien des Ruhrpotts und seiner Menschen zu drehen?

Ich hab einen Hang zum morbiden Humor, das passt schon mal gut. Als ich in München Film studierte, erzeugte diese Umgebung in mir nur Komplexe und Wut. Als Junge aus dem Ruhrgebiet kam ich mir minderwertig vor, das Gefühl geben einem manche dort. Und im deutschen Film gab es damals bloß freundliche Großstadtromanzen. Ich wollte dann aus Trotz das Gegenteil machen. Filme über Männer in einer Baugrube, ohne Liebe, ganz derb.

Sie sind jetzt mit Ihrer Unna-Trilogie fertig, vor sieben Jahren begannen Sie mit „Bang Boom Bang“, einer schrillen Gangsterkomödie, die zum Kultfilm wurde. Warum ist der letzte Teil keine Komödie?

Ich fing mit „Bang Boom Bang“ an in einer Jubelzeit, als alle dachten, wir werden jetzt schwerreich durch die Börse. Der zweite Film, „Was nicht passt, wird passend gemacht“, war schon viel bodenständiger, es ging einfach um Leute auf dem Bau. „Goldene Zeiten“ zeigt für mich die Welt, wie sie heute ist. Der neue Markt ist zusammengebrochen. Viele haben ihr Geld verloren. Aber alle sind immer noch auf dem Statustrip. Unsere Gesellschaft definiert sich über Äußerlichkeiten und Erfolg. Schickes Auto, dolle Klamotten. Dabei wär’s in unserer Lage viel sympathischer, zu sagen: Bei mir sieht’s gerade ziemlich mies aus. Aber ich gebe mich nicht auf. Das ist meine Hauptfigur Ingo, gespielt von Wotan Wilke Möhring.

Der Eventmanager Ingo holt für das städtische Golfturnier einen Hollywoodstar nach Unna. Der Star ist aber eine Fälschung. Zuhälter und Killer mischen sich ein. Alles wird zur Katastrophe, bloß weil jeder immer nach oben will. Darf man sagen, das sind Proleten, die Sie in ihren Filmen zeigen?

Na klar, Prolet ist ja kein Schimpfwort. Wenn mich jemand als Proll bezeichnet, hab ich kein Problem damit.

Zu Zeiten als die Szene noch ganz selbstverständlich links war, war „Prolet“ ja ohnehin keine Beleidigung …

… 70er, teilweise 80er, da war es schon fast schick, denke ich.

In den Duden-Ausgaben der 90er aber steht dann plötzlich „ungehobelter, ordinärer Mensch“. Und wie ist das heute?

Diese Menschen, die von vielen als Prolls bezeichnet werden, sind charakterlich gefestigter, als so mancher aus den so genannten höheren Schichten. Darum geht es auch in meinem neuen Film. Ich will die Leute nicht verarschen. Ich zeichne alle Charaktere so, dass man sagen kann, okay, bei all dem Humor und den dramaturgischen Übertreibungen sind es alles noch echte Persönlichkeiten.

Die Schauspielerin Alexandra Neldel, die in „Goldene Zeiten“ das Starlet Melanie spielt, hatte gerade einen Rechtsstreit mit der Bild- Zeitung wegen alter Playboy- Nacktfotos. Nun kommt im Film genau dieser Playboy vor. Ironisiert sie sich selbst?

Am Anfang tat sie sich schwer mit dem Buch. Später wurde ihr wohl klar, dass sie die Tiefe der echten Alexandra Neldel umso mehr in die Rolle einbringen kann. Die Bild-Zeitung hat ihr übel mitgespielt – die haben, als sie die Playboy-Fotos nicht drucken durften, Nacktfotos aus einem ganz alten Fernsehfilm auf die Titelseite gebracht – aber das ist alles erst nach unserem Dreh passiert. Eine Ironie des Schicksals, der Film wirkt jetzt wie ein Kommentar dazu.

Der Ruhrpott ist bei Ihnen von missgünstigen und gierigen Typen bevölkert. Sonderlich sympathisch wirkt die Mehrheit nicht.

Für den von Wolf Roth gespielten Golfklubbesitzer Matthies empfinde ich zwar keine Sympathie, aber ich kann ihn verstehen. Er versucht so verkrampft seine Fassade aufrecht zu erhalten. Wenn das am Ende zerbricht und der Typ sein wahres, kriminelles Gesicht zeigt, ist auch Schadenfreude erlaubt.

Ihre Filme sind auf eine eigenartige Weise gerecht. Menschenfeinde müssen büßen. Oft rächen sich schlechte Taten durch dumme Zufälle. Kommt da heimlich etwas Gerechtigkeitsliebe durch?

Ich weiß, dass das unrealistisch ist. Ich glaube aber an eine Sehnsucht beim Publikum, dass man Moral zwar nicht sehen, aber doch empfinden will. Selbst ein Film wie „Der Pate“ hat Moral. Michael Corleone schlägt sich immer mehr auf die falsche Seite und bezahlt damit, dass er das Vertrauen seiner Frau verliert und nie wieder das Leben führen kann, das er eigentlich wollte. Auch bei Tarantino sind all die harten Jungs einer geheimen Moral unterworfen.

Aber Grabowski, der brutale Zuhälter, kommt bei Ihnen unbescholten davon.

In „Goldene Zeiten“ finde ich das richtig. Die Verlogenheit in der feinen Gesellschaft ist oft so viel größer als unter den Prolos. Ausgerechnet dieser Grabowski, ein Zuhälter und ein großes Arschloch, stellt am Ende die Moral wieder her. Er straft all die Lügner auf dem großen Finale im Golfklub ab, verbal oder mit der Faust.

In Ihren Filmen dreht sich alles um die Unterschicht, um Arbeiter und Durchschnittsmenschen. Honorieren die wirklichen Menschen aus dem Ruhrgebiet das?

Ich glaube, in Unna wird das gar nicht so bemerkt. Die Leute, die direkt aus dieser Gesellschaftsschicht sind, haben gar nicht die Distanz, sich zu erkennen. Die finden das einfach nur normal, was ich zeige. „Es stimmt schon, ist tagtäglich so“, wird dann gesagt. Zuschauer, die das Leben in der Gegend nicht kennen und meine Filme daher für unrealistisch halten, sind viel eher bereit, sich zu amüsieren. Da wird’s aber auch schon gefährlich. Ich möchte die Leute nicht von oben herab betrachten, sondern auf Augenhöhe.

Haben Sie irgendein Verhältnis zu anderen Größen des soziografischen Films, Alexander Kluge oder Fassbinder?

Ich kenne deren Arbeit natürlich, aber es sind keine Vorbilder. Bei mir kommt das eher von innen. Eines hat mich aber beeinflusst: In Unna gab es immer so Kinder-Ferienspaß-Aktionen, in der Neue-Heimat-Siedlung, wo ich aufwuchs. Da trat Ende der 70er einmal Rio Reiser mit Claudia Roth auf, die war damals am Theater in Dortmund. Das war ein Schlüsselerlebnis, Bühne, Show und Engagement – damals fing für mich alles an.

Prolet zu sein ist auch jetzt ein wenig schick, denken Sie an den TV-Koch Tim Mälzer oder an den Moderator Stefan Raab. Die spielen damit, einer von unten zu sein. Nervt das nicht etwas?

Ich würde mich nicht selbst offensiv einen Proll nennen, aber viele Leute sehen mich als Proll. Ich bin kein Arbeiter, ich hab studiert, ich bin weggegangen, ich bin schon so lange nicht mehr da. Aber ich kann mich mit den Leuten auf einer Augenhöhe unterhalten, weil diese Heimat verbindet. Ich glaube auch, dass Mälzer und Raab das können. Raab ist halt Metzger, so ist ja auch sein Humor. Warum auch nicht.

Sind Sie links?

Ich komme aus dem Ruhrgebiet, ich bin links. Da empfinde ich mich sehr als Proll. Das Ruhrgebiet ist ja gar kein reines Arbeitergebiet mehr, aber immer noch ein riesengroßer Schmelztiegel von unterschiedlichen Kulturen. Polen, Italiener, Türken, Deutsche, wir sind alle Malocher. Wenn wir unter Tage fahren, sind wir alle schwarz. Diese Kumpelmentalität hat sich erhalten.

Hört sich etwas romantisch an, als sei der Ruhrpott das bessere Deutschland.

Die taz hat mal über den Film „Doppelpack“ von Matthias Lehmann geschrieben: „Nicht schon wieder ein Film, der uns weismachen will, im Ruhrgebiet seien die Leute viel cooler als alle anderen.“ Das behaupte ich gar nicht.

In Berlin ist gerade neue Bürgerlichkeit angesagt, man gibt sich in der Szene gern neoliberal. Da wäre dann wohl kein Platz mehr für Proll-Charme …

Wirklich unangenehm daran ist, dass durch diesen neuen Geist wirklich Leute ausgegrenzt werden. Wir sollen immer noch härter arbeiten, heißt es dann. Ich hab damit kein Problem: Ich schlafe vier Stunden pro Nacht, mir macht das Arbeiten Spaß. Ich unterstelle mal, viele haben einfach keine Chance. Das ganze neoliberale Gehabe führt sich doch selbst ad absurdum. Einerseits sollen alte Werte wie Familie wieder her, andererseits sollen wir flexibel am Arbeitsplatz sein. Wenn du einen Job in Stuttgart bekommst, dann lass halt deine Frau und dein Kind sitzen und geh hin, oder was?

Was haben Sie über Unna gelernt durch die drei Filme?

Ich werde meine Wurzeln nie ablegen, ich bin stolz, da herzukommen. Was das angeht, bin ich doch wieder ein bisschen konservativ.