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Archiv-Artikel

„Man kann entspannter arbeiten“

CHINA Keine aufgeregten Produzenten, private Finanziers: Ein Gespräch mit Lutz Reitemeier, dem Kameramann von Wang Quan’ans Eröffnungsfilm „Tuan Yuan“

Lutz Reitemeier

■ Kameramann, geboren 1963 in Stuttgart. 1998 kam er zum ersten Mal nach China, als er mit der Filmemacherin Solveig Klaßen den Dokumentarfilm „Jenseits von Tibet“ drehte. 2002 filmte er für Wang Quan’an den Spielfilm „The Story of Ermei“; 2006 folgte „Tuyas Hochzeit“ desselben Regisseurs, der den Goldenen Bären der Berlinale 2007 gewann, und jetzt Wang Quan’ans „Tuan Yuan“ („Apart Together“), der heute den Wettbewerb der Berlinale eröffnet.

taz: Herr Reitemeier, „Tuan Yuan“ eröffnet heute die Berlinale. Was ist besonders an dem Film?

Lutz Reitemeier: Ungewöhnlich ist das Thema: die Trennung von China und Taiwan. In der Volksrepublik ist das heikel, bis jetzt gab es noch nie einen Film dazu, und deshalb ist es so spannend zu sehen, wie ein festlandchinesischer Regisseur damit umgeht.

Sie arbeiten seit Jahren im Team vom Filmemacher Wang Quan’an. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Mir war sein Erstlingswerk „Lunar Eclipse“ positiv aufgefallen. Als ich in Peking einen Dokumentarfilm über die sogenannte „sechste Generation“ der chinesischen Regisseure drehte, bekam ich auch Wang vor meine Kamera. Er fragte mich dann, ob ich nicht Lust hätte, bei seinem Spielfilm mitzumachen, der eine dokumentarische Kameraführung haben sollte.

Wie unterscheidet sich die Arbeit in einem chinesischen Team vom Dreh mit deutschen Kollegen?

Die Deutschen sind viel straffer organisiert. Da muss sehr produktiv gearbeitet werden, weil die Kosten so hoch sind. Alles muss genau vorbereitet sein, damit man möglichst wenige Tage für den Dreh braucht.

Das ist in China anders?

In China sind die Löhne und das Kostenniveau im Alltag niedriger, abgesehen von dem Kamera- und Filmmaterial, das importiert wird. Das heißt: Man kann entspannter arbeiten. Man hat in der Regel auch keine aufgeregten Produzenten am Set. Filme, wie Wang Quan’an sie dreht, sind keine Massenware, sondern privat finanzierte Autorenfilme.

Wer gibt denn das Geld?

Das sind Leute, die schnell reich geworden sind, wie es wohl nur in China so möglich ist. Die haben Interesse an kulturellen Dingen, manche wissen schlicht nicht, wohin mit ihrem Geld.

„Tuyas Hochzeit“, der vorige Film von Wang, hat in Berlin zwar den Goldenen Bären gewonnen, in China aber nur relativ schwachen Erfolg gehabt. Woran liegt das?

In China sind im Kino kommerziellere Filme stärker gefragt. Kinos gibt es nur in den Städten, die meisten Chinesen leben aber auf dem Land. Noch gibt es keine kostengünstigen, anspruchsvollen Alternativen zu den Raub-DVDs.

Da gibt es aber eine Riesenauswahl …

… sogar bis zu kleinen deutschen Filmen der „Berliner Schule“, dann mit chinesischen Untertiteln! Kinokarten hingegen kosten eine Stange Geld, acht Euro. Dafür wollen die Leute ausländische Filme sehen. Oder sie wollen nach dem teuren Kinoeintritt einfach nur prima Unterhaltung, aber keine schwere Kost. Das ist ein Land, in dem das Publikum sich ablenken will, ähnlich wie im Deutschland der Fünfzigerjahre – da wollten sie die Vergangenheit auch nicht im Kino sehen.

Nützen ausländische Preise den chinesischen Regisseuren zu Hause?

Etwas schon. Wang hat kürzlich in China die Auszeichnung „Botschafter des chinesischen Films im Ausland“ erhalten.

Ich habe Respekt vor Filmemachern, die heikle Themen anpacken, ohne die Zensur auf den Plan zu rufen

Er hat keine Probleme mit Zensur?

Ich habe großen Respekt vor Filmemachern wie Wang, die versuchen, so weit wie möglich heikle Themen anzupacken, ohne die Zensur auf den Plan zu rufen. Nur so kann man sich vernünftig finanzieren und muss nicht heimlich filmen. Wer wie Wang professionelles Kino in China macht, ist sichtbar: Man muss seine Filme ins Kopierwerk geben, und dort gibt es Leute, die nachfragen: Wer reicht denn da seine Filmrollen ein? Dann werden die Behörden gleich aufmerksam.

Wie funktioniert die Zensur heute?

Anders als früher muss man nicht mehr das Drehbuch vorlegen, bevor man anfangt, sondern nur ein Exposé. Zwei Seiten, das reicht schon. Schwierig wird es erst, wenn der Film fertig ist – und man ihn im Ausland bei Festspielen einreichen will. In diesem Moment gucken die Zensoren mit Argusaugen drauf.

INTERVIEW: JUTTA LIETSCH

■ „Tuan Yuan“, heute, 11. 2., 19.30 Uhr, Berlinale-Palast; 21 Uhr, Zoo-Palast; Freitag, 12. 2., 20 Uhr, Urania; 18.30 Uhr Odeon, Mi, 17. 2., 19.30 MGB Kinosaal/Spiegelzelt (Kulinarisches Kino)