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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Bei minus 15 Grad wirkt der nächste Schnaps wie ein warmer Schlag auf den Kopf

Mann, Mann, Mann, war das kalt am Wochenende! Die Kälte beeinflusste natürlich auch die Freizeitgestaltung – ausgehen und rumstehen bei minus 15 Grad, wie soll das gehen?

Dabei fing es ganz gut an. Im Kino International lief ein amüsanter utopischer Film, der eine Idylle entwarf: von Prenzlauer Berg, mitten im Sommer, aber ohne Szenecafés, Studenten, Szenefriseure, Eltern mit trekkingfähigen 1.000 -Euro-Buggys, Schmuckläden und Bagelerien. Später im San Remo war es schön wie immer, man traf ein paar Bekannte und ging im Schutz der Gruppe uneingeladen zu einer Geburtstagsparty in den Privatclub.

Dort glühten die Heizpilze im Outdoorbereich, die tropfenden Decken verhießen Tauwetter, und fast sämtliche Musiker aus Hamburger und Berliner Bands waren versammelt. Es gab ja auch spannende Themen zu besprechen, zum Beispiel die Frage, ob Leute, die sich bei Online-Musikzeitschriften in so genannten Communities über Musik unterhalten, entweder 18-jährige Psychopathen, lustige Internetidioten oder doch eher ganz normale 30-Jährige sind, die sich vor der Arbeit noch mal schnell einloggen und kurz über das Album des Jahres 2006 diskutieren wollen. Und wem von den Musikerkollegen würde man es zutrauen, sich selbst unter Tarnnamen anzumelden, nur um die eigene Band und das kommende Album zu featurn?

Bestärkt von solcherlei heiteren Gesprächen verabredete man großartige Unternehmungen für den Samstag: zuerst zu Cobra Killer und das Mandolinenorchester ins Eschloraque und dann zu Jeans Team in die Maria. Voll Vorfreude stob man auseinander in die herrlich milde Winternacht.

Am nächsten Tag sanken die Temperaturen so weit nach unten, dass schon am frühen Abend nach und nach alle Verabredungen fürs Wochenende wegbrachen: „Ach, zu kalt, es ist so gemütlich zu Hause, war den ganzen Tag unterwegs, die russische Kaltfront kommt, können doch auch nächste Woche …“ Schuld daran war nicht nur die Lethargie der Ausgehgruppe, sondern auch der Mix aus „Tagesthemen“ und „Berliner Abendschau“, die über den Kälteeinbruch herumunkelten und sensationslüstern Temperaturen von minus 20 Grad prophezeiten. Was blieb, war ein recht häuslicher Samstag, gefolgt vom Sonntag mit seinen ewigen Ritualen wie „Lindenstraße“, „Weltspiegel“, „Tagesschau“ und „Tatort“ – und dann aber das Gefühl, noch mal rauszumüssen.

Es ist immer wieder schön, aus der winterlichen Kälte der Straßen in eine warme, volle Bar zu kommen. Weniger schön ist es, nachts bei irrwitzigen Minusgraden den Heimweg anzutreten. Schon nach zehn Metern kroch in der Oranienstraße eine erstaunliche Kälte in den Körper und machte die Bedeutung der Redewendung „sich den Arsch abfrieren“ sinnlich erfahrbar.

Nur gut, wenn man da informiert ist. In Russland, so hatten die Medien berichtet, ist ja Wodka das Allheilmittel gegen Kälte. Im Freien tätige Wachsoldaten erhalten seit Jahrhunderten per Gesetz 100 Gramm am Tag, sogar den fröstelnden Elefanten im Moskauer Zoo mischt man drei Liter pro Wassereimer bei. Also rein in die nächste Kneipe, zwei kurze Wodka bestellt, runter damit und weiter!

Auf diese Weise kam man langsam, aber sicher vorwärts: vom Möbel Olfe zum Bierhimmel, in den Elefanten über den Club 39 in die Wrangel-Bar zum Gino über einen namenlosen Imbiss zum Oberbaumeck. Diese Vorgehensweise ist natürlich auch in allen anderen Stadtteilen möglich, etwa vom Kaffee Burger zur Pfefferbank zur 8-mm-Bar usw. Wichtig ist es, dem Impuls, einzukehren, sofort nachzugeben, ohne Ansehen der Örtlichkeit. Das führt zu spannenden Begegnungen, und ab dem dritten/vierten Getränk wirkt der nächste Schnaps wie ein warmer Schlag auf den Kopf. Man friert zwar immer noch, es ist aber total lustig. CHRISTIANE RÖSINGER