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Archiv-Artikel

Dicky und das Filmblut

Während die Medienkonzerne beim Internetfernsehen noch zögern, bastelt eine neue Generation von TV-Machern längst am eigenen Programm. Die ersten Stars: „Rocketboom“ und „Ehrensenf“

Von ALEXANDER DLUZAK

Nach einigen schnell geschnittenen New-York-Impressionen taucht eine blonde Frau auf dem Bildschirm auf. Sie sitzt vor einer Weltkarte und strahlt übers ganze Gesicht. „Hello, my name is Amanda Congdon and this is Rocketboom“. Congdons zuckersüßes Lächeln weicht einem zynischen Grinsen. Dann folgen einige Gemeinheiten über den republikanischen Politiker Tom Delay, der wegen Geldwäsche in Texas vor Gericht steht. „Und wer ist der Nächste?“, fragt die Moderatorin rhetorisch, um die Frage gleich selber zu beantworten: „Dicky“ – womit US-Vizepräsident Dick Cheney gemeint ist.

Die 26-jährige Congdon ist das bekannteste Gesicht einer neuen Generation von Internetsendern. Regelmäßig gehen im Netz neue Formate auf Sendung, www.rocketboom.com aus New York sind die ersten Helden. Durchschnittlich 100.000 Zuschauer sehen die etwa fünfminütige Show des Produzenten Andrew Baron. Jeden Werktag um 9 Uhr, 15 Uhr deutscher Zeit, stellt Baron eine neue Episode ins Netz. Republikanische Politiker – oder noch besser ihre Verfehlungen – sind eines der Lieblingsthemen von „Rocketboom“. „Wir können kritischer sein, als die klassischen Medien, wir müssen nicht bei jeder Meldung aufpassen, ob wir damit jemandem zu sehr auf die Füße treten“, umreißt Amanda Congdon die eigene publizistische Freiheit.

Vision vs. Technik

Diskussionen über Internetfernsehen sind so alt wie das Netz selber. An Visionen mangelte es selten, alleine die technischen Voraussetzungen verhinderten bislang deren Realisierung. Immerhin kultivierten die ersten bewegten Bilder im Netz zumindest bei einigen Visionären eine gewisse Vorfreude. Der Rest sträubte sich, in dem unscharfen Gewackel im Briefmarkenformat die Zukunft des Fernsehens zu sehen. Mit dem Aufkommen der schnellen Datenverbindungen wie DSL haben sich die Bedingungen jedoch grundlegend geändert. Wackelfreie Übertragung in hoher Bildqualität ist längst kein Problem mehr.

Allein in Deutschland gibt es zehn Millionen DSL-Anschlüsse, Tendenz steigend. Nur bei den Medienkonzernen scheint das noch nicht angekommen zu sein. Zwar stellen viele TV-Sender Beiträge aus dem konventionellen Programm auf ihre Internetseiten – eigene Inhalte für das Netz produzieren sie aber nicht.

Dafür haben die technischen Möglichkeiten eine ganz neue Generation von Fernsehmachern beflügelt. Ihre Wurzeln liegen zumeist in der Videoblog-Szene. Videoblogs nennt man Homepages, auf denen periodisch neue Videos zum Runterladen bereitgestellt werden. Schon ab 2004 erlebten bewegte Bilder im Netz durch diese Videoblogs einen ersten Boom, allerdings mit den üblichen Kinderkrankheiten: Die Kamera wackelte bedrohlich, Schnitte kamen, wenn überhaupt, zumeist unerwartet, und das wenigste war redaktionell ausgereift. Alles konnte zum Thema werden. So richtig rocken wollte das Banale allerdings nicht. Glücklicherweise blieb es nicht dabei.

Aus dem Kreis der Videoblogger gingen Formate wie „Rocketboom“ hervor – billig produziert und doch erstaunlich professionell. „Rocketboom“ ist heute fester Programmpunkt des Windows Media Centers, einer auf Unterhaltung ausgerichteten Version des Betriebssystems XP aus dem Haus des Software-Beinahe-Monopolisten Bill Gates. Und so laufen die Clips nicht länger nur via Internet auf dem Monitor, sondern auch im „richtigen“ Fernseher. Und die Macher verdienen endlich Geld mit ihrem Programm, denn hohe Zuschauerzahlen öffnen die Werbeetats der Unternehmen.

Die Aussicht auf finanziellen Erfolg lässt auch in Deutschland TV-Macher die Fronten wechseln. Carola Sayer und Rainer Bender arbeiteten vormals als Autoren für diverse Sender. Jetzt haben sie ihre alten Jobs für das eigene Internetfernsehen www.ehrensenf.de an den Nagel gehängt. Anfang November stand die erste Episode im Netz, mittlerweile hat „Ehrensenf“, ein Anagramm des Wortes Fernsehen, täglich bis zu 10.000 Zuschauer. Ein erster Erfolg, zumal sich die eigenen Investitionen in überschaubaren Grenzen halten: Videokamera und Ansteckmikro aus dem Elektronikgeschäft, dazu noch einen Laptop und ein wenig Webspace – mehr brauchen sie nicht. Im Gegensatz zu den vor Technik strotzenden Fernsehstudios klingt das wie ein Witz, das Ergebnis zeigt aber: Es ist keiner.

Von Montag bis Freitag produzieren sie täglich eine fünfminütige Episode. Im Stil einer Nachrichtensendung berichtet Moderatorin Katrin etwa über den Wirbel um den Werbespot von Apples neuestem iPod oder über eine skurrile Website mit einer detaillierten Anleitung zum Herstellen von Filmblut.

Prinzip Selbstausbeutung

Noch funktioniert „Ehrensenf“ nach dem Selbstausbeutungsprinzip, erste Gespräche mit potenziellen Werbekunden sind allerdings bereits geführt, und Zukunftspläne gibt es auch. „Irgendwann wollen wir täglich mehrere Shows anbieten und ‚Ehrensenf‘ zu einem richtigen Internetsender ausbauen“, sagt Produzent Rainer Bender.

Auch wenn Internet-TV noch ganz am Anfang ist und „Ehrensenf“ und „Rocketboom“ bislang nur auf wenige Minuten Sendezeit am Tag kommen und: Die Qualität stimmt – und macht Hoffnung. Beide Formate sind die Spitze einer neuen Netzrevolution, einer Revolution, an deren Ende ein guter alter Bekannter steht: das Fernsehen.