: Spitzenkader und Jurist
Li Keqiang ist nicht das erste Mal zu Gast. Kurz nach der Wende hatte er als damaliger Funktionär der Jugendliga der Kommunistischen Partei Chinas Deutschland besucht. Ein Jahr nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmenplatz war er jedoch nicht willkommen. Kaum einer in Bonn wollte ihn empfangen. Für den Regierungschef der inzwischen zweitgrößten Volkswirtschaft ist das heute freilich anders.
Auf seiner Antrittsreise als Premierminister hat der 57-Jährige als ersten EU-Staat Deutschland ausgewählt. Das hat mehr als nur symbolische Bedeutung. Deutschland ist Chinas größter Handelspartner in Europa. Im Gepäck hat Li eine Reihe von Wirtschaftsverträgen, deren Volumen sich auf 5 Milliarden Euro summiert. Auch politisch schätzt er die Bundesregierung. Er hält die Kanzlerin etwa in der Eurokrise für eisern und durchsetzungsstark – Eigenschaften, die er selbst anstrebt.
Anders als seine Mitstreiter innerhalb der chinesischen Führung stammt Li aus eher armen und bäuerlichen Verhältnissen. Er ist kein Sprössling von Chinas KP-Elite, dem die politische Laufbahn in die Wiege gelegt wurde. In jungen Jahren arbeitete er sich über die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei hoch. Er hat auch keine technische Ausbildung, wie es bei den meisten chinesischen Spitzenpolitikern bislang üblich ist, sondern einen Juraabschluss und ist Doktor der Agrarwirtschaft.
Li spricht fließend Englisch und kommt mit seiner freundlichen Art sehr viel weniger steif daher als seine Parteigenossen im Pekinger Regierungsviertel. Zugleich hat er eine klare Agenda. Der ausufernden Korruption hat er den Kampf angesagt, ebenso der immer tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich.
Kein leichtes Unterfangen. Denn seine Mitstreiter an der Spitze gehören zu den größten Nutznießern des Systems. Zudem stößt Chinas exportorientiertes Wachstumsmodell angesichts schleppender Nachfrage in den USA und Europa an seine Grenzen. Lis Hauptaufgabe ist es, für nachhaltiges Wachstum zu sorgen, das auch den Umweltschutz stärker berücksichtigt. Die deutsche Wirtschaft soll ihm dabei helfen. FELIX LEE
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8