piwik no script img

Druckerfarbe in Saft von Aldi und Lidl

Die Deutsche Umwelthilfe findet im naturtrüben Aldi-Apfelsaft „Apfelblüte“ und im Lidl-Gemüsesaft „vitafit“ Chemikalien aus der Kartonverpackung. Die gesundheitliche Wirkung ist umstritten: Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf

ITX schädigt das Erbgut nicht – besagen von der Industrie gesponserte Studien

VON HANNA GERSMANN

Glas wäre sicherer: Gemüse- und Fruchtsaft, der in Kartons abgefüllt wird, kann mit Chemikalien belastet sein. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat zehn Säfte untersucht – und fand im naturtrüben Aldi-Apfelsaft „Apfelblüte“ und im Lidl-Gemüsesaft „vitafit“ Reste von Druckerfarbe.

Die unappetitliche Substanz heißt Isopropylthioxanthon, kurz ITX. Sie wird verwendet, damit die Tinte auf Etiketten schneller trocknet. Offenbar löst sie sich aus dem Karton und wandert ins Innere. Die Hersteller der beanstandeten Verpackungen waren die schwedische Tetra Pak und die norwegische Elo Pak.

Das Problem ist nicht neu, die Dimension allerdings schon. Es begann damit, dass die italienische Polizei im November letzten Jahres 30 Millionen Liter Nestlé-Babymilch beschlagnahmte, weil bei Tests Spuren von ITX gefunden worden waren. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern nahm die im Tetra Pak abgefüllte Babymilch in Frankreich, Italien, Portugal und Spanien vom Markt. Andere Länder, so versicherte das Unternehmen damals, seien nicht betroffen.

Tatsächlich wird flüssige Säuglingsnahrung in Deutschland nicht in Getränkekartons abgefüllt. Doch nur vier Tage später tauchte auch der erste belastete Kinderkakao in Deutschland auf. Diesmal war der Hersteller der Babymilch-Produzent Milupa, der ebenfalls prompt reagierte. Bis dahin sah es so aus, als beschränkte sich die Verunreinigung nur auf fettreiche Milchprodukte. Vor zwei Wochen wurden dann aber die ersten belasteten Säfte entdeckt: In Kroatien nahmen die Behörden 33.000 Fruchtgetränke vom Markt.

In Deutschland passierte wenig. CSU-Bundesverbraucherminister Horst Seehofer schaltete zwar das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ein. Dessen Experten aber urteilten: ITX müsse vermieden werden, gesundheitsgefährdend sei es aber nicht. „Die Bundesregierung sah keine Notwendigkeit, ein Verbot auszusprechen“, erklärte Marie-Luise Dittmar, eine Sprecherin des Bundesagrarministeriums, gestern. Es habe ein Gespräch mit der Wirtschaft gegeben. Und die Verpackungshersteller hätten versprochen, ihre Verfahren umzustellen – und ITX zu vermeiden. Auch offiziell hatte Tetra Pak Ende November angekündigt, bis Mitte Januar werde es keine ITX-belasteten Kartons mehr auf dem Markt geben.

Trotzdem hat die DUH nun weitere Verunreinigungen gefunden. Für DUH-Chef Jürgen Resch zählen die Argumente der Bundesregierung deshalb nicht. „Es kann nicht sein, dass in allen betroffenen Ländern die belasteten Produkte aus den Sortimenten verschwinden, nur in Deutschland nicht“, sagt er. Aus seiner Sicht ist nicht erwiesen, dass die Substanz ungiftig ist. Tatsächlich bezieht sich das BfR bei seiner Entwarnung auf Studien zu Auswirkungen von ITX auf das Erbgut. Diese, so sagt Resch, seien aber von der Industrie in Auftrag gegeben worden. Und andere gesundheitliche Wirkungen des Chemiecocktails seien noch gar nicht betrachtet worden. Resch: „Wir brauchen Klarheit über das Ausmaß der ITX-Kontaminationen in Deutschland.“

Anhaltspunkte dazu gibt es. Thomas Schlicht vom BfR sagte der taz: „Es war abzusehen, dass die Chemikalie in Säften, aber auch in Olivenöl steckt, solange die Hersteller ihre Verfahren nicht ändern.“ Denn der Weg der Verschmutzung sei immer der gleiche: Die beschichtete Pappe, aus der später die Tetra Paks entstehen, wird bedruckt und auf riesigen Rollen an den Getränkehersteller geliefert. Geknickt wird sie erst dort. Beim Aufrollen aber kommt die blanke Rückseite mit der bunten Außenseite in Berührung – und Letztere färbt ab.

„Abklatsch“ nennen die Verpackungsingenieure den Vorgang, der „ganz normal“ sei. Auch das BfR warnte in seiner Stellungnahme für Seehofer, das Abfärben könne „prinzipiell nicht ausgeschlossen werden“. Deshalb könnten auch weitere Substanzen aus Druckfarben in Essen und Trinken stecken.

Der Verbraucher weiß wenig darüber, was er mit dem Apfelsaft an Stoffen schluckt. Manchen mag das auch kaum interessieren. Doch auch wer wissen möchte, was in Lebensmitteln steckt, tappt im Dunkeln. Die Hersteller sind bislang nicht verpflichtet, irgendwelche Auskünfte zu erteilen. Diese Geheimnistuerei „muss sich ändern“, forderte gestern Bärbel Höhn, die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag. Allein: Minister Seehofer hat zwar angekündigt, die Bürger künftig mit einem Verbraucherinformationsgesetz besser zu informieren. Die Firmen allerdings, so hat er schon längst klar gemacht, will er „auf keinen Fall“ in die Pflicht nehmen.

So appellierte die Deutsche Umwelthilfe gestern an die Discounter Aldi und Lidl, belastete Produkte aus dem Regal zu nehmen. Für alle Kunden jedenfalls steht fest: Vom Aufdruck „100 % Prozent Fruchtsaft“ sollte man sich nichts vormachen lassen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen