piwik no script img

Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Am Schluss bleiben Trümmer

■ betr.: „Mit dem Regenradar zur Kantine“, taz vom 25. 6. 13

Autisten, die Seltenen Erden im Behindertenbereich, lasst sie uns abbauen! So oder ähnlich könnte man meinen, wenn man den Artikel von Jakob Vicari liest. Der Autor unterlässt es leider, komplett die tatsächlichen Hintergründe zum einem und die „Krankheit/Behinderung“ Autismus zum anderen zu differenzieren und zu erklären. Die im Artikel beschriebenen und von SAP gesuchten Autisten sind das „Sahnehäubchen“ der Menschen, die mit diesem Krankheits- /Behindertenbegriff leben. Die überwiegende Mehrheit mit „frühkindlichem Autismus“-Etikett und mit Intelligenzminderung erhalten leider immer noch nicht die Aufmerksamkeit und die damit verbundenen Geldmittel, um in Rahmenbedingungen zu leben, die für ihre Krankheit/Behinderung notwendig wäre. Wenn die Industrie nun die von der „Asperger-Lobby“ (überwiegend in den USA) hochgepuschten Ausnahmefälle sucht, um die für sie positiven Früchte der Krankheit/Behinderung zu „ernten“ und zur Gewinnoptimierung ihrer Produkte zu verwenden, dann ist das so, wie mit dem Braunkohlebagger blühende Landschaften zu zerfräsen. Am Schluss bleiben immer nur Trümmer und totes Land übrig.

HOLGER LAUER, Augsburg

Absturz einer Volkspartei

■ betr.: „150 Jahre SPD“ u. a., taz vom 23. 5. 13 ff.

Es ist ja sehr lobenswert, wie der SPD zu ihrem Geburtstag gratuliert wurde. Im Grunde bin ich auch dafür. Aber es sollte doch auch erwähnt werden, was möglicherweise mit dem Absturz einer +40-Prozent-Volkspartei zu einer –30-Prozent-Partei beigetragen hat.

Die SPD hat sich unter den Kanzlern Helmut Schmidt und vor allem unter Gerhard Schröder verhalten, wie die SPD es 1914 mit der Zustimmung zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges getan hat. Sie hat damals die pazifistische Basis verraten. Und unter Helmut Schmidt, spätestens aber unter Gerhard Schröder, hat sie die eigentliche Basis des Godesberger Programms verlassen zum Zweck der Andienung an das Großkapital.

Um die Arbeitslosenstatistik zu schönen, hat sie mit den 400-Euro-Jobs ein neues Proletariat erschaffen; sie hat die Hartz-IV-Gesetze verabschiedet, die Vermögensteuer abgeschafft und die Einkommensteuer gekürzt. Um diesen Ausfall der Staatseinnahmen zu ersetzen, war es dann notwendig, die Ausgaben bei den kleinen, letztlich aber staatstragenden Bürgern zu kürzen. Bis heute hat sie nichts dazu beigetragen, die Einkommensunterschiede in West und Ost abzuschaffen, selbst da nicht, wo sie die Länderregierung stellt. Und immer stellt sie die Globalisierung als notwendig voran und trägt die Politik der Neokapitalisten von CDU und FDP mit. Solange es die SPD nicht schafft, sich dieser Belastung zu stellen und diesen Verrat an der Sozialdemokratie umzukehren, wird sie sich mit 25 Prozent plus begnügen müssen. ALBERT WAGNER, Bochum

Entweder – oder

■ betr.: „Letzte Chance: Flugverbot“, taz vom 24. 5. 13

So charmant die Idee auch klingen mag, aber gerade der Vergleich mit der Flugverbotszone über dem Nordirak 1991 zeigt doch einen entscheidenden Unterschied. Im Gegensatz zum Irak verfügt Syrien über eine effektive Luftabwehr und eine zwar veraltete, aber doch einsatzbereite Luftwaffe. Die Durchsetzung einer Flugverbotszone wäre also alles andere als einfach. Und wenn Radar-/Flugabwehrstellungen zwecks Durchsetzung einer Flugverbotszone bombardiert werden dürfen, dann kann man doch auch gleich Panzer- und Artillerie-Stellungen mit bombardieren, alles andere wäre doch geradezu paradox. Aber das wäre dann ein massives militärisches Eingreifen, was man ja eigentlich zu vermeiden suchte. Also entweder – oder: Beschränkung auf humanitäre Hilfe oder nachhaltige militärische Intervention. MIRCO SZYMYSLIK, Herne

Ursachen werden verschleiert

■ betr.: „Das neue Gesicht des Terrors“, taz vom 24. 5. 13

Der pauschale und undifferenzierte Umgang mit dem Wortfeld „Terror, Terrorismus und Terrorist“ weckt bei mir den Verdacht, dass die wahren Ursachen des mit diesen Begriffen bezeichneten Phänomens zugedeckt oder verschleiert werden sollen. Warum fällt es so schwer, eine Äußerung wie die der beiden Männer, die vor einer Kaserne in London einen englischen Soldaten getötet haben, ernst zu nehmen („Der einzige Grund, warum wir diesen Mann getötet haben, ist, dass die britischen Soldaten jeden Tag Muslime töten“), und warum ignorieren wir, dass der Vorfall sich in England, einem der größten Kriegshetzer, und vor einer Kaserne ereignet hat und dass es sich bei dem Opfer um einen Soldaten handelt? Warum setzen wir uns nicht mit der Tatsache auseinander, dass wir immer häufiger mit militärischen Interventionen und unüberwindlicher Übermacht in die Konflikte anderer Völker – Vietnam, Afghanistan, Libyen, Mali und Syrien – eingreifen zu können glauben und dadurch den Zorn und den Hass anderer Völker, Religionen und Kulturen auf uns lenken könnten? Dabei muss man schließlich auch berücksichtigen, dass das vor dem Hintergrund eines Zeitalters des Kolonialismus geschieht, in dem europäische Länder und die USA mit großer Arroganz und Ignoranz andere Völker, Religionen und Kulturen unseren wirtschaftlichen Interessen und machtpolitischen Ambitionen unterwerfen und ihnen unsere Religion, Kultur und Zivilisation aufzwingen zu können glaubten. Zumal die Spuren und Folgen dieser Epoche in vielen Ländern und Erdteilen noch immer deutlich zu sehen sind! LUDWIG SCHÖNENBACH, Bremen