piwik no script img

Archiv-Artikel

„Schwäche zeigen kann keine Lösung sein“

Die „inkorrekte moralische Gleichung“ zwischen israelischer Wehrhaftigkeit und arabischem Terror: Wie „München“ in den USA diskutiert wird

WASHINGTON taz ■ „Wir haben Spielberg verloren“, schrieb der jüdisch-amerikanische Filmautor Jack Engelhard vor kurzem. „Spielberg ist kein Freund Israels, Spielberg ist kein Freund der Wahrheit mehr.“ Konservative jüdisch-amerikanische Kreise sowie offizielle Vertreter Israels in den USA hatten Steven Spielberg angegriffen, lange bevor dessen jüngster Film „München“ am 23. Dezember in die Kinos kam. „Israelfeindlich, naiv, faktenverfälschend und verwerflich“, waren die meistgebrauchten Adjektive.

Die Kritiker fanden, dass Spielberg in „München“ den palästinensischen Terror mit den durch den Mossad verübten Hinrichtungen gleichsetze. „Prätentiös“ und „übertrieben“ sei dies, befand der israelische Konsul in Los Angeles, Ehud Danoch. Und als „rundweg falsch“ kritisierte ein ehemaliger Mossad-Agent die Darstellung der historischen Ereignisse. Seit „München“ in den USA läuft, streiten Blogger, Publikum und Feuilletonisten heftig über den Film.

Spielberg, der Mann, der sich mit „Schindlers Liste“ und der Einrichtung der „Survivors of the Shoah Visual History Foundation“ 1994 weltweites moralisches Ansehen erwarb, erklärte dem Time-Magazin kurz vor Anlaufen des Films seine Sichtweise des Plots: „Terror mit Gegenterror zu beantworten, führt in einen ausweglosen Sumpf. Nur miteinander reden kann Lösungen bringen.“

Kaum hatte Spielberg dies gesagt, konterte der konservative Kolumnist David Brooks in der New York Times: Im wahren Leben gebe es „Gewalt, die konstruktiv ist, und Gewalt die destruktiv ist“. Der Regisseur, obwohl selbst Jude, habe dies nicht verstanden, schrieb Brooks. Er vereinfache die komplexe Realität in Nahost, um eine friedliche Lösung zu propagieren – und dies sei eine viel zu romantische Botschaft angesichts des brisanten Themas.

Als naiven Idealismus, der die politischen Realitäten verkenne, verurteilten denn auch prominente Konservative wie Leon Wieseltier, einflussreicher Kommentator beim liberalen Magazin The New Republic, Spielbergs Botschaft. Der Regisseur habe eine „inkorrekte moralische Gleichung“ aufgestellt – nämlich die, dass israelische Gegenwehr auf der gleichen niederen Stufe zu verorten sei wie der arabische Terror. Das sei völlig inakzeptabel, wurde der israelische Konsul Danoch zitiert.

„Wir waren in der Debatte über die moralische Gleichwertigkeit in den letzten beiden Jahren schon mal weiter, der Film wirft uns zurück“, klagte Malcolm Hoenlein, Vizevorsitzender der Präsidentenkonferenz der Amerikanischen Jüdischen Organisationen. David Harris, Direktor des American Jewish Committee, sagte: „Es ist zu simpel zu sagen, Gewalt erzeuge Gewalt und sei daher keine geeignete Lösung. Israel sieht sich mit einer Reihe von Fakten konfrontiert und hat eine schwierige, bisweilen unappetitliche Auswahl an Lösungen. Aber die andere Wange hinzuhalten oder sonst wie eine Schwäche zu zeigen, kann keine dieser Lösungen sein.“

Dennis Ross, ehemaliger Unterhändler und Nahostberater unter Bush senior und Bill Clinton, der Spielberg bei seinem Projekt beriet, wehrte diese Art der Kritik grundsätzlich ab. „Der Film zeigt sehr wohl, in welchem Kontext die Israelis handelten“, sagte er The Jewish Week. Daher verstehe er die Empörung darüber nicht. Ross ist sicher, dass die Zuschauenden ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen werden. Es spräche doch für sich selbst, wie die israelischen Verfolger an ihrem Tun zweifeln und um ihr Gewissen ringen – etwas, was die palästinensische Seite im Film nicht tue. Grundsätzliche Kritik am Fakt des politischen Mordes war allerdings kein Thema in der echauffierten Debatte.

Der cineastische Wert von „Munich“, der ohne großen Werbezirkus in wenigen ausgewählten Kinos in den USA anlief, wurde viel stiller evaluiert. Anders als das politische Establishment würdigten die Filmkritiker den Film des zweimaligen Oscargewinners ausnahmslos als sehenswert. Roger Ebert, einer der einflussreichsten Filmkritiker in den USA, listete das Drama in der Chicago Sun-Times als eines der zehn besten für 2005. Ebert hält Spielbergs Darstellung für mutig, weil sich „der exponierteste Jude der Filmindustrie“ damit „zwischen Israel und die Palästinenser“ stelle. Und Kenneth Turan von der Los Angeles Times warf gleich die Frage auf, ob der Film mit seiner Vereinfachung nicht eine bessere Erklärung für die Gewalt im Nahen Osten biete als all jene, die behaupten, die Situation sei „zu komplex für eine Darstellung Hollywoods“. ADRIENNE WOLTERSDORF