: Dauerpatient Wald
Seit Jahren wird vom Sterben des Waldes geredet, doch dieser lebt immer noch. Warum eigentlich? Einige Antworten
VON HANNA GERSMANNUND NICK REIMER
Gab es gar kein Waldsterben?
Ökologen debattieren seit Jahren, ob es ein Fehler war, das Panikwort vom Waldsterben in die Welt zu setzen. Heute ist ein Drittel Deutschlands bewaldet, von den schlimmsten Vorhersagen ist nichts eingetreten. Die einstigen Killer – schwefelhaltige Abgase – sind erfolgreich bekämpft. Der Katalysator entgiftet Autoabgase. Und der Zusammenbruch der DDR-Industrie hat dem Wald auch sehr gut getan.
Gesund ist er aber trotzdem nicht. Während sich die Wissenschaftler in den 80er-Jahren vor allem um Fichten und Kiefern sorgten, kränkeln heutzutage die Laubbäume: Besonders schlimm steht es um die Eichen – jede zweite ist geschädigt. So sind die Hälfte aller Bäume, die in den 80er-Jahren als „krank“ bezeichnet werden mussten, inzwischen tot. Dafür sind natürlich Bäume nachgewachsen. Doch selbst diese Zwanzigjährigen zeigen jetzt schon erste Schäden. Der Waldexperte Helmut Klein vom BUND sagt: „Wälder sterben langsamer als alte Männer.“
Wann ist der Wald also tot?
Irgendetwas wächst immer. Die Frage ist: Was meint man mit Wald? Der nämlich ändert sich beständig. Es gibt heute immer weniger alte Bäume, so will es die „moderne“ Forstwirtschaft. Eine Verjüngungskur mit großen Folgen: Der Hirschkäfer zum Beispiel legt seine Larven nur im dicken Holz ab. Relativ gesunde, naturnahe Wälder wie in der Schorfheide oder im Nationalpark Bayerischer Wald beherbergen 10.000 Arten. Kranker oder hochgezüchteter Wald hat eine entsprechend kleinere Artenvielfalt.
Ist Waldsterben nur eine Frage der Statistik?
Die Daten werden jedes Jahr nach dem gleichen Prinzip erhoben: Förster haben Deutschland in 16 mal 16 Kilometer große Raster gelegt. Die Experten schwärmen aus, taxieren die Bäume, registrieren, wie licht die Kronen sind. Berichte, kranke Bäume seien vor der Blattbeschau schnell noch geschlagen worden, wurden nie bewiesen.
Welche Baumart stirbt zuerst?
Das ist sehr pauschal gefragt: Unterschiedliche Standorte in unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlich starken Schadstoffquellen haben ein höchst unterschiedliches Todesszenario zur Folge. Eigentlich haben Nadelbäume bessere Abwehrmechanismen: Sie haben Harz, das ähnlich den menschlichen Blutplättchen wirkt. Fressen sich Schädlinge durch die Rinde, bildet das Harz einen Grind. Laubbäume verfügen in Europa über keinen derartigen Mechanismus. Das bedeutet: Verletzungen führen – sind sie groß genug – quasi zwangsläufig zum Tod. Es sei denn, der Baum kann Wundgewebe bilden: Kirsche oder Apfel zum Beispiel.
Warum trifft es die Eiche so besonders stark?
Wegen des Maikäfers. Der fällt regelmäßig über junges Eichengrün her. „Allerdings gibt es einen 4-Jahres-Zyklus“, so Jürgen König, Experte für die Analyse von Jahresringen an der Uni Dresden. Aller vier Jahre steht die Maikäfer-Population in ihrer Blüte: Es gibt besonders viele Maikäfer, die schon im April Fraßschäden verursachen. Die Eichen produzieren dann weniger Holz, was man an den Jahresringen sehen kann: Jedes vierte Jahr ist schmal.
Ursache für diesen Jahreszyklus sind unter anderem die Fledermäuse: „Dem Jahr mit besonders vielen Maikäfern folgt ein Jahr mit besonders vielen Feinden“, erklärt Jahresringexperte König. Dies sei ein Signal der Natur: Viel Fressen sorgt für große Fruchtbarkeit. Zu Lasten der anderen, die dann im kommenden Jahr stärker gejagt werden. Die Folge: Geht es der Eiche wegen des Maikäfers schlecht, kann sie andere Störenfriede oder Gifte noch viel weniger verkraften.
Könnten schadstoffresistente Bäume dem Wald helfen?
Fälschlicherweise werden als „schadstoffresistent“ Bäume bezeichnet, die gegen bestimmte Umweltgifte weniger anfällig sind als gegen andere. Das kann aber bedeuten, dass sie an diesen sehr wohl sterben können. Der Erzgebirgskamm wurde durch den sauren Regen aus Tschechien fast komplett entwaldet. „Dem versuchte man mit resistenten Bäumen zu begegnen“, so Forstexperte König. Die Blaufichte – ein Exot aus Nordamerika – und die Omorika-Fichte aus Zentralserbien erschienen geeignet: Erstens sind sie frostbeständig, zweitens vertragen sie mehr Stickstoffdioxid. „Rehwild aber kann sich von diesen Exoten nicht ernähren“, so König. Dies bedeutet: Die Lösung des Waldproblems durch einen resistenten Exoten bringt ein neues Problem mit sich. König: „Deshalb sollten resistente Exoten immer nur inselartig und nie als Monokultur angebaut werden.“
Wer verdient am Wald?
Knapp die Hälfte des Waldes ist in privater Hand: 1,3 Millionen Waldbesitzer besitzen fünf Millionen Hektar. Dem Staat gehört gut ein Drittel des Waldes, der Rest vor allem Kirchen.
Sind etwa die Ökobauern schuld am Waldsterben?
„Die Neuausrichtung der Agrarpolitik kommt dem Wald zugute“, heißt es im neuen Waldbericht. Der neue Bundesforst-Minister Horst Seehofer hält bekanntlich nicht so viel von Biobauern. Freilandhaltung und offene Ställe werden jetzt angeprangert, da diese nicht mit Filtern ausgestattet werden könnten.
„Sehr subtil formuliert“, urteilt Professor Gert Dudel, Ökologe an der forstbotanischen Fakultät im sächsischen Tharandt. Tatsächlich setzen die Gülle und andere Emissionen aus Ställen dem Wald stark zu, aber auch Bauern mit geschlossenen Ställen hielten diese Emissionen nicht zurück. Dudel kennt keinerlei Belege dafür, „dass Ökolandbau den Wald in irgendeiner signifikanten Form schädigt“. Konventionelle Landwirte seien aber schon deshalb die größeren Verschmutzer, „weil sie einfach deutlich mehr sind“.
Ist es heute schlimmer oder besser als früher?
„Es geht dem Wald anders schlimm und anders gut“, sagt Ökologe Dudel. Standorte, die früher unter saurem Regen gelitten hätten, würden heute unter neuem Umweltstress leiden. „Signifikant sind Ozon- und Smogschäden gestiegen“, so Dudel. Den Bäumen deutlich zusetzen würde aber auch „die Zunahme von Wetterextremen“. Dudel: „Dürre oder Sommerflut – Stress verursacht das gleichermaßen.“