: Nettigkeit hilft nicht
SERIE DISKRIMINIERUNG Wer nicht betroffen ist, muss zum Thema nicht schweigen. Und wer das Gegenteil vertritt, fördert Ausgrenzung
■ ist politische Korrespondentin der taz. Ihr Beitrag ist Teil einer Debattenreihe zum Thema Sprache und Diskriminierung. Zuletzt plädierte Daniel Bax für mehr Höflichkeit: „Warum so rücksichtslos“ (taz vom 24. 5. 2013).
Es ist immer erfreulich, wenn Leute nett zueinander sind und Rücksicht nehmen. Leider kann auch größtmögliche Freundlichkeit nicht jeden Grundsatzstreit lösen. Es zeugt von einer totalitären Weltsicht zu glauben, alle Ansichten ließen sich in „richtig“ oder „falsch“ oder gar in „gut“ und „böse“ unterteilen. Auch eine ergebnislose Diskussion kann interessant sein. Sobald sich allerdings die Beteiligten gegenseitig beleidigt haben, wird im Regelfall gar nicht mehr über das geredet, worum es ursprünglich ging. Stattdessen achten fast alle nur noch darauf, was geeignet ist, die Gegenseite zu „entlarven“. So auch jetzt in der Auseinandersetzung über die Frage, ob das Wort „Negerlein“ aus dem Kinderbuch „Die kleine Hexe“ entfernt werden sollte.
Shakespeare auf den Index?
Diskriminierungsverbot gegen Werktreue: Beide Seiten haben gute Argumente. Die einen wünschen die endgültige Klarstellung, dass das „N-Wort“ keinesfalls mehr akzeptabel ist und wollen schwarze Kinder vor Kränkung bewahren. Die anderen meinen, dass der Text in dem zeitlichen Kontext gesehen werden sollte, in dem er entstand, und fürchten, dass es kein Halten mehr gäbe, wenn erst einmal damit begonnen würde, ältere Werke wegen inhaltlicher Bedenken zu verändern. Wo wäre die Grenze? Dürfte der „Struwwelpeter“ künftig nur noch ohne die Geschichte vom Mohren gedruckt werden? Gehörte Shakespeares Othello auf den Index?
Darüber kann sachlich gestritten werden – solange nicht der Vorwurf des Rassismus erhoben wird. Der beendet jede Diskussion. Das bedeutet nicht, dass andere Beschimpfungen akzeptabel wären, das sind sie nicht. Aber die Unterstellung, das Gegenüber sei rassistisch, ist so umfassend und wiegt so schwer, dass dagegen keine Argumentation mehr möglich ist. Auch deshalb, weil sie sich nicht widerlegen lässt. So wenig wie der Vorwurf des Antisemitismus oder der Homophobie. All diesen Anschuldigungen ist gemeinsam, dass sie sich zwar objektiv untermauern, nicht aber objektiv entkräften lassen. Wie auch? Der Hinweis darauf, dass „einige meiner besten Freunde Juden sind“, ist ja mit Recht zum geflügelten Spottwort geworden.
Wer jemand anders des Rassismus bezichtigt, wirft ihm oder ihr fehlenden Respekt vor den Menschenrechten und der Menschenwürde vor. Einen solchen Vorwurf inflationär zu benutzen, entwertet ihn. Deshalb sollte er nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit aus der Schublade geholt werden.
Schließlich hat niemand in der Diskussion angeregt, den „Neger“ neu zu beleben. Dieses Wort hat im Deutschen in den letzten Jahrzehnten einen Bedeutungswandel erfahren und wird heute als diskriminierend verstanden. Das musste nicht zwangsläufig so sein, im Portugiesischen beispielsweise ist es anders: Da gilt „negro“ als politisch korrekt, während „preto“ – schwarz – als Kennzeichnung von Dunkelhäutigen an kolonialistische Begrifflichkeit erinnert und deshalb vermieden wird.
Der Kontext ist wichtig
Darf man überhaupt „dunkelhäutig“ schreiben? Rückfrage bei einer deutschen Frau mit hoher Hautpigmentierung. Lange Pause. Dann: „Ich glaube schon. Sicher bin ich nicht.“
Wörter sind oft nicht eindeutig. Das Adjektiv „schwul“, ursprünglich ein ausschließlich auf gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung gemünztes Schimpfwort, ist von Homosexuellen selbstbewusst als Eigenbezeichnung übernommen worden. Kein Vorgang, der sich beliebig oft wiederholen lässt. Aber ein Hinweis darauf, dass Sprache nicht statisch ist und das Verständnis einzelner Wörter von Kontext und Interpretation abhängen kann.
Wer hat die Deutungshoheit über diese Interpretation? Manches lässt sich pragmatisch lösen. Es hat sich bewährt, Gruppen so zu nennen, wie diese selbst genannt werden wollen. Dafür spricht auch, dass sich auf diese Weise am ehesten Fehler vermeiden lassen. Ein Beispiel: Die früher gebräuchliche Bezeichnung „Mohammedaner“ für Moslems ist schlicht falsch, weil Mohammed im Islam zwar verehrt, aber – anders als Jesus Christus im Christentum – nicht angebetet wird.
Wer spricht in wessen Namen?
Die Tatsache, dass es oft vernünftig ist, Betroffene selbst eine Sprachregelung treffen zu lassen, heißt jedoch nicht, dass im Konfliktfall alle anderen zu schweigen hätten. Diskriminierung bedeutet nicht nur Herabwürdigung, sondern auch Ausgrenzung. Wer meint, nur Betroffene seien zu einem Urteil berechtigt, fördert selbst die Ausgrenzung. Und sei es in bester Absicht.
Zumal hinzukommt, dass sich nicht alle Mitglieder einzelner Bevölkerungsgruppen von den Organisationen vertreten fühlen, die in ihrem Namen zu sprechen behaupten. Es gibt jüdische Deutsche, die wenig vom Zentralrat halten. Es gibt Frauen, die nichts mit dem Deutschen Frauenrat am Hut haben. Und es gibt Deutsche mit dunkler Hautfarbe, die die ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) ziemlich seltsam finden. All diese Leute werden nur noch als Sonderlinge betrachtet, sobald Organisationen ein Alleinvertretungsanspruch zugebilligt wird.
Menschenrechte sind ein universales Thema, das alle angeht. Von der Frage, wie sie jeweils zu definieren sind, darf deshalb eo ipso niemand ausgeschlossen werden. Über Jahre hinweg galt Kritik an afrikanischen Diktatoren in weiten Teilen der deutschen Linken als unstatthaft. Die Geschichte des Kolonialismus – so die Begründung – verbiete jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jungen, unabhängigen Staaten. Größere Hürden hätte man seinerzeit für die Demokratie kaum aufbauen können. Zumal den damaligen Weltmächten die Meinungsfreiheit in Afrika aus geostrategischen Erwägungen heraus herzlich gleichgültig war.
Das Ende der Diskriminierung – und somit auch der Ausgrenzung – ist nicht erreicht, sobald alle ganz lieb und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Sondern erst dann, wenn es für die Qualität eines Arguments keine Rolle mehr spielt, ob sein Protagonist oder seine Protagonistin schwarz, weiß, schwul, lesbisch, jüdisch, weiblich, muslimisch oder himmelblau gestreift ist. BETTINA GAUS