: Der Pandabär im Krankenhaus
MENSCH UND TIER Pinkelnde Männer im Wald und Miniholzhäuser für Waldbewohner: Die Gruppenausstellung „Derridas Katze“ geht im Kunstraum Kreuzberg der Frage nach, was Mensch- und Tiersein miteinander zu tun haben
VON TOM MUSTROPH
Am Anfang war nicht Gott, sondern die Katze. Derridas Katze. Die Katze des Philosophen erblickte denselben regelmäßig nackt im Badezimmer. Der französische Oberdekonstruktivist fragte sich, als er den Blick des ebenfalls unbekleideten Haustiers auf seinen eigenen entblößten Körper bemerkte, ob diese ihn überhaupt als nackt wahrnehmen könne. Denn sie, die Katze, verfüge womöglich gar nicht über die Kategorie der Nacktheit, die dem Philosophen, hier in seiner Ausgabe als europäisches Kulturwesen, den kleinen schmerzhaften Stich der Scham zufügte.
Derridas charmante Betrachtungen zum Mensch-Tier-Verhältnis stellen die Ausgangsbasis der Gruppenausstellung „Derridas Katze… que donc je suis (a suivre)“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien dar. Sie sind tatsächlich ein schöner Startpunkt, um über den Narzissmus des Menschen, die Vernutzung der Tiere, die romantische Überhöhung der Natur und die emotionale Aufladung domestizierter Kreaturen nachzudenken. Doch leider nutzen die Kuratorinnen Alice Goudsmit und Barbara Buchmaier die gebotene Chance nicht.
Mensch klassifiziert Tier
Die Auswahl der 24 „künstlerischen Positionen“ scheint nicht von der Auseinandersetzung mit dem Denken Derridas geleitet, sondern eher ein Sammelsurium von Arbeiten zu sein, die einen Bezug zum Tier herstellen. Gerhard Grothusen ist mit einer Serie von Hunde- und Pferdefotos vertreten, die von Ferne an die Reihenversuche von Eadweard Muybridge erinnern, aber weder über dessen Präzision noch über die historisch-technische Aufladung verfügen. Lisa Strömbeck präsentiert in einer Videotrilogie einen Hund ohne und einen Hund mit Futter und appelliert damit an Mitleid und Empathie. Ingvild Hovland Kaldal stellt die Verpackungen aus, mit denen der finnische Ethnologe Rafael Karsten vor 90 Jahren seine gesammelten Kolibris von Südamerika nach Nordeuropa verschickte. Menschen klassifizieren Tiere – welch umwerfende Erkenntnis. Diesem ausgetretenen Pfad folgt auch Louise Schrader, die 72 aufgespießte Schmetterlinge unter Glas vorstellt.
Ulrike Mohr, eine Wanderungs-, Fauna- und Flora-Expertin mit Schwerpunkt Berlin, war selbst im Feld. Sie hat das Wasser von 50 Berliner Gewässern mit Hilfe ebenso vieler Glasbehälter in den Ausstellungsraum getragen und schafft über das Nachdenken zur Klassifizierung hinaus die Gelegenheit, sich komparatistisch mit einem gerade jetzt ziemlich versteckten Lebensraum zu beschäftigen.
Possierlich machen sich die Zeichnungen von Lucy Powell aus. Sie platziert einen Pandabären ins Ambiente eines Krankenhauses. Ein ganzes medizinisches Team kümmert sich um ihn. Die Darstellung fängt die latente Humanisierung der Tiere ein, die sich wegen Art und Aussehen – vier Beine, Säuger, kuscheliges Fell – am besten dafür eignen.
Die Nahrungskette hält
Der teils in Berlin lebende Amerikaner Ethan Hayes-Chute beschäftigt sich seit einiger Zeit mit Unterständen und Hütten. Auf kleine Holzklötze hat er jetzt Miniaturdarstellungen von Behausungen für Waldbewohner gesetzt – eine erfrischend eigensinnige Interpretation des Themas. Sylvia Henrichs inszeniert wirkungsvoll den Tatort Natur. Mit großen Scheinwerfern leuchtet sie ins Unterholz und reißt so ein Stück Umwelt aus dem Dunkel, das wahrscheinlich einen mit Blut getränkten Schauplatz der täglichen Aufrechterhaltung der Nahrungskette darstellt. Diesen Eindruck erwecken zumindest die großformatigen Fotos. Ein im Raum installierter Scheinwerfer leuchtet auf Susanne Nissens schelmische Installation von Vogelhäuschen und Papageienstimmen auf den schneebedeckten Freiflächen vor dem Bethanien. Diese Arbeiten sind die Lichtblicke in einer eher enttäuschenden Gruppenschau.
Auf der Höhe des von Derrida angerissenen Diskurses bewegt sich allein die Foto-Arbeit von Carla Ahlander. Die schwedische Künstlerin hat Hertha-Fans beim Pinkeln im Wald rings um das Olympiastadion beobachtet. Sie befindet sich hier an einer wenig beachteten Schnittstelle zwischen Mensch und Natur. Möglicherweise ist die aus der Hose herausgeholte kleine Nacktheit das letzte Verbindungsglied des Stadtmannes mit der sonst von Fuchs und Hase frequentierten Landschaft. Immerhin wenden sie der Fotografin und den am Weg entlang ziehenden Kumpanen – Achtung: Kultur! – den Rücken zu, während ihre Vorderfront dem Wald zugewandt ist.
■ Kunstraum Kreuzberg, Mariannenpl. 2, bis 7. 3. täglich 12–19 Uhr