: Völlig überforderte Bakterien
EXTRATERRESTRIK Nie mehr Fußpilz dank Weltraumforschung: Das Max-Planck-Institut entdeckte durch Zufall, dass sich kaltes Plasma hervorragend zur Desinfektion eignet – viel besser als Alkohol und Jod
■ Pseudonomas aeruginosa: 10 Prozent aller Krankenhausinfektionen gehen auf das Konto dieses Bakteriums: Lungenentzündungen, Harnwegsinfekte, Enterokolitis, Meningitis, äußere Ohrentzündung.
■ Staphylococcus aureus: Lebensmittelvergiftungen, Entzündungen der Haut mit Bläschenbildung. Dieses Bakterium wird auch als MRSA bezeichnet, dann handelt es sich um die gegen Penicillin resistente Form, vor allem in Intensivstationen sind sie eine Gefahr.
■ Escherichia coli: Darmbakterium, das außerhalb des Darms Infektionen auslöst. Zum Beispiel Harnwegsinfekte oder Bauchfellentzündungen.
VON FRAUKE BÖGER
Wir sind im All. Auf der Internationalen Raumstation schweben Astronauten herum und hantieren mit Gasen, genauer: mit Plasma, heißem Gas. Über einen Bildschirm ist Kontakt mit Forschern in Moskau hergestellt, sie geben den Astronauten Anweisungen für die Experimente. Grundlagenforschung betreiben sie: Alltägliche Vorgänge wie Schmelzen, Kondensieren, die Entstehung von Strömungen werden hier grundlegend neu erforscht – auf dem Niveau der Mikroteilchen. So weit, so schön, damit können Lieschen Müller und Hans Meier nichts anfangen. Wohl aber mit der Vorstellung, dass für die Desinfektion von Wunden irgendwann demnächst auf Jod und Alkohol verzichtet werden könnte. Nur ein Knopfdruck, ein Lufthauch, und schon sind Wunden, Füße und Socken desinfiziert – so könnte es demnächst sein.
Während der Forschungen mit Plasma sind Forscher des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Forschung zufällig auf eine neue Technik zur Desinfektion gestoßen. „Wir waren selber sehr überrascht“, sagt Gregor Morfill, der Leiter des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik.
Es funktioniert so: Eine klitzekleine Menge des Plasmas wird in die Luft gesetzt, die Temperatur des Gases fällt rapide und es beginnen chemische Reaktionen, die Keime und Bakterien schlichtweg überfordern. „Die Bakterien haben nicht genügend Verteidigungsmechanismen, um auf die verschiedenen chemischen Reaktionen reagieren zu können“, sagt Morfill. „Die Dosis ist sehr gering, aber die Wirkung unheimlich schnell.“
In dem speziellen Plasma, mit dem die Forscher arbeiten, sind vergleichsweise schwere geladene Mikroteilchen enthalten. Sie sind hunderte von Milliarden schwerer als Atome oder Moleküle. „Auf der Erde kommt die Schwerkraft ins Spiel, deswegen bietet sich die Forschung unter Schwerelosigkeit als optimale Alternative an“, so Morfill.
Seit 2001 betreibt das Max-Planck-Institut in Kooperation mit russischen Wissenschaftlern Plasmaforschung auf der Internationalen Raumstation. „Die Astronauten sind unser verlängerter Arm“, so Morfill.
Getestet wurde das Plasmagerät bisher an 1.600 Patienten mit Wunden. Das Plasma wurde etwa dreißig Sekunden auf die betroffen Stellen gepustet und die Wunden waren desinfiziert.
„Jedes Antibiotikum hat irgendwann eine Resistenz, bei dem kalten Plasma ist das unwahrscheinlich“, sagt Georg Isbary, Assistenzarzt an der Hautklinik Schwabing in München. In der Klinik steht eines von sieben Plasma-Wunddesinfektionsgeräten weltweit. „Noch sind die sehr teuer, etwa 100.000 Euro, aber wenn es eine Marktzulassung gibt, werden die sicher billiger.“ Die Plasmabehandlung ist eine Zusatzbehandlung, insbesondere für chronische Wunden, wie sie ältere Diabeteskranke oft haben. „Wir können auf jeden Fall eine signifikante Reduktion von Keimen auf den Wunden nachweisen, eine schnellere Heilung ist aber noch nicht erkennbar“, sagt Isbary.
An einer Kombination mit einem anderen Gas, das eventuell die Wundheilung fördert, wird bereits gearbeitet. Ein Kandidat dafür wäre das Edelgas Argon, das heilend wirken soll: „Langfristig gedacht wäre eine Kombination aus Argon und kaltem Plasma denkbar, damit würde die Desinfektion mit der Regeneration kombiniert“, sagt Morfill. Das sei aber noch Zukunftsmusik, frühestens in zehn bis zwanzig Jahren rechne er mit einer Umsetzung in der Medizin.
Früher erwartet er den Einsatz von reinen Desinfektionsgeräten zum Beispiel für Chirurgen. Diese müssen vor einer Operation Hände und Unterarme desinfizieren. Mit dem kalten Plasma müssten die Chirurgen ihre Arme nur wenige Sekunden in ein schlauchartiges Gerät halten und wären keimfrei. Die Desinfektion von Chirurgenhänden dauert üblicherweise noch drei Minuten, mit dem Plasmagerät geht das in zehn Sekunden. „Und auf Dauer schädigt der Alkohol die Haut, bei Plasma ist das bisher nicht vorstellbar“, sagt Isbary.
Auch für den Normalverbraucher könnte das kalte Plasma nützlich werden: Aufgeschlagene Kinder-Knie und von Fußpilz befallene Füße desinfizieren kleinere, mit einem Ventilator ausgestattete Geräte. „Man braucht nicht mal die Socken auszuziehen, das Gas desinfiziert sie gleich mit“, so Morfill. Noch habe sich kein Investor gefunden, der die Geräte auf den Markt bringen will, und Lieschen Müller und Hans Meier müssen weiterhin auf Jod und Alkohol zurückgreifen.