: Dem Eurostar fehlten die Winterkleider
BERICHT Für die TGV-Pannen unter dem Ärmelkanal vor Weihnachten gibt es eine peinliche Erklärung
PARIS taz | Am Freitag endlich bekamen die 2.400 Passagiere, die kurz vor Weihnachten stundenlang im Bahnchaos im Tunnel unter dem Ärmelkanal stecken geblieben waren, endlich eine einleuchtende Erklärung: Die Betreibergesellschaft Eurostar hatte die Züge nicht rechtzeitig winterfest gemacht. Das ist das Ergebnis eines am Freitag in Paris vorgestellten Untersuchungsberichts, den das Unternehmen selbst in Auftrag gegeben hatte.
Am 18. und 19. Dezember war der Bahnverkehr zwischen Frankreich und England nach Schneefällen zum Erliegen gekommen. Fünf Eurostar-Züge steckten im Tunnel fest, die Reisenden mussten bis zu 16 Stunden lang ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne Auskünfte und teilweise auch ohne Licht ausharren. Mehr als hunderttausend Menschen konnten ihre Weihnachtsferien nicht wie geplant antreten. Die Kosten für Schadenersatz und Vergütung für Bahntickets belaufen sich angeblich auf elf Millionen Euro.
Pulverschnee war in die seitlichen Lüftungsschlitze der Loks eingedrungen und hatte beim Schmelzen nach der Einfahrt in den wärmeren unterirdischen Tunnel einen elektrischen Kurzschluss und das Stoppen der Motoren verursacht. Dass die modernen Hochgeschwindigkeitszüge vor ein wenig Schnee kapitulieren mussten, war peinlich. Dann schoben sich die Tunnelverantwortlichen, die Eurostar-Gesellschaft und die britischen und französischen Bahngesellschaften auch noch gegenseitig die Schuld für die Blamage zu.
Der Untersuchungsbericht liefert nun eine befriedigende und relativ simple Antwort. Normalerweise müssen alle TGV, auch diejenigen von Eurostar, zwischen September und November für den Winter ausgerüstet werden. Die Lokomotiven werden dabei mit einem Schneeschutz versehen. Laut den Wartungsprotokollen wurde das in diesem Jahr weder in den französischen SNCF-Werkstätten von Landy noch in Temple Mills bei London für die Eurostar-Züge rechtzeitig gemacht, sondern erst nach den Pannen im Januar. Bezeichnenderweise gab es seither keine Zwischenfälle mehr mit Kurzschlüssen.
Es liegt also eindeutig ein Wartungsfehler der Gesellschaft Eurostar vor, die bisher keinen Kommentar dazu abgeben wollte. Guillaume Pépy, der Vorsitzende der französischen Bahn SNCF, die mit 55 Prozent an Eurostar beteiligt ist, war schon nach den Vorfällen im Dezember von Präsident Nicolas Sarkozy zu einer Standpauke ins Élysée zitiert worden. Und da in solchen Fällen jemand den Kopf hinhalten muss, trifft es sich, dass Pépy in den kommenden Wochen den Eurostar-Vorsitz an seinen britischen Kollegen Richard Brown abgeben muss. RUDOLF BALMER