: „Auf die exotischen Sachen waren wir natürlich sehr stolz“
DER CLUBKAPITÄN Seit 1967 wird in der Hafenbar in Mitte unter der Aufsicht von Klaus Zagermann getanzt. Ein Gespräch über Erlebnisgastronomie in der DDR, Bananendampfer und die verbindende Kraft des Schlagers
■ Der Mensch: Klaus Zagermann, 70, ist in Ostberlin geboren. Er hat Kellner gelernt und dann als Grenzgänger ein halbes Jahr im Hotel Kempinski in Westberlin gearbeitet. Nach dem Mauerbau 1961 hätte ihn der Direktor auch ganz übernommen, aber Klaus Zagermann wollte nicht im Westen bleiben, weil er sich nicht von seiner Freundin und Familie trennen wollte.
■ Der Gastronom: Zagermann arbeitete dann im Haus Berlin am Strausberger Platz und war 1963/64 für ein halbes Jahr im Rahmen eines Austauschs der staatlichen Handelsorganisation HO in einem Restaurant in Budapest. Nach seiner Rückkehr und dem Durchlaufen aller Bereiche des Gaststätten- und Barbetriebs des Hauses Berlin wurde er dessen Geschäftsführer. Als die HO 1967 die Hafenbar in der Chausseestraße als Teil ihrer Erlebnisgastronomieoffensive eröffnete, übernahm er deren Leitung. Nach der Wende konnte er die Einrichtung und das Personal übernehmen. 15 Mitarbeiter waren das damals. Heute hat die Hafenbar fünf Angestellte, von denen niemand mehr aus dem alten DDR-Mitarbeiterkollektiv stammt.
■ Die Bar: Die Hafenbar in Mitte existiert seit 1967 und ist angeblich Berlins älteste Disco. Für die maritime Stimmung zieren Bullaugen, Rettungsringe und Schiffsbilder die alten Wände, über der Tanzfläche hängt ein großes Fischernetz. Die Hafenbar lässt es sich ansehen, dass sie die Stürme der Zeit bis heute überlebt hat. Auch der 70-jährige Klaus Zagermann, seit ihrem Start der Kapitän der Hafenbar, vermittelt in seiner gelassenen Art den Eindruck, als könne ihn nichts mehr umhauen. An die Unsicherheit, wann die Hauseigentümer ihn wohl vor die Tür setzen, hat er sich schlicht gewöhnt. Aber 50 Jahre Hafenbar möchte er noch voll machen. GUNNAR LEUE
INTERVIEW GUNNAR LEUE FOTOS DAVID OLIVEIRA
taz: Herr Zagermann, seit 46 Jahren sind Sie Chef der Hafenbar, sozusagen ein Veteran des Berliner Partywesens.
Klaus Zagermann: Wenn Sie das so sagen.
In der Stadt machten zuletzt Clubs zu, wegen Ärger mit Nachbarn oder weil die Geschäfte durch das Überangebot schlecht laufen. Wie läuft’s bei Ihnen?
Also, wir können nicht klagen. Wir haben ein treues Publikum.
Gar keine Sorgen?
Das nun auch wieder nicht. Als Mieter wissen wir eigentlich seit der Wende nicht, woran wir sind. Die Hafenbar war ja zu DDR-Zeiten in zwei Häuser integriert. Nach 1990 wurden die an die Erben des früheren jüdischen Eigentümers rückübertragen. Die haben die sofort weiterverkauft und der neue Besitzer ließ die Häuser trennen, sodass wir über Nacht keinen Strom und keine Klos mehr hatten. Also haben wir damals die verbliebenen Räume etwas umgestaltet, WCs neu eingebaut und Strom angeschlossen. Seitdem ist mir bestimmt 25 Mal der Rausschmiss von den ständig wechselnden Hausverwaltungen angedroht worden.
Kennen Sie Ihren Eigentümer persönlich?
Der sitzt ja in New York, Fifth Avenue, und war nur einmal hier, 1996 oder 97. Als er das Haus sah, ist er aus allen Wolken gefallen. Er wollte gleich verkaufen, hat aber wohl einen zu hohen Preis verlangt. Jedenfalls bekam ich immer nur einen jährlichen Mietvertrag. Ich konnte nie planen, weil es immer hieß: Wenn das Haus verkauft wird, muss ich sofort raus. Inzwischen wird das Haus von Luxemburgern oder Schweizern verwaltet. Pläne, wie es weitergehen wird, haben die noch nicht geäußert. Immerhin erhielten wir zuletzt einen zweijährigen Mietvertrag, der Ende 2013 ausläuft.
Macht Sie das unruhig?
Inzwischen bin ich die Unsicherheit ja fast gewohnt. Mein Ziel lautet auf jeden Fall, dass wir die fünfzig Jahre Hafenbar noch voll kriegen.
Es heißt, sie sei die älteste Disco Berlins?
Wahrscheinlich ist es so, aber so genau weiß man das ja auch nie. Wir betreiben sie jedenfalls ohne Unterbrechung seit 1967.
Im Westen war damals der Summer of Love und am Ku’damm eröffnete Rolf Eden seine Edeldisco Big Eden. Wollte die HO auch ein bisschen Popflair ins Ostberliner Ausgehleben bringen?
Bei der HO hatte man die Idee, Erlebnisbereiche in der Gastronomie zu schaffen. Man hat sich ein paar Objekte ausgeguckt, darunter die Clou-Bar, unseren Vorläufer. Deren Motto lautete zwar: „Berlins intimste Nachtbar“, aber der Laden lief nicht doll und vor allem rechnete er sich nicht. Als der Clou-Bar-Leiter kündigte, war ich gerade Geschäftsführer im Haus Berlin am Strausberger Platz und habe angeboten, den Job zu übernehmen – wenn ich was Eigenes auf die Beine stellen dürfte. Ich bekam das Okay und habe ein halbes Jahr lang beide Gastronomiehäuser geleitet.
Wie kamen die Erlebnisgastronomieplaner ausgerechnet auf den Namen Hafenbar, wo die doch nicht mal an der Spree lag, sondern fast im Schatten der Mauer. Ein subversiver Gag?
Nee, nee. Man wollte einfach was Maritimes. Wir haben argumentiert, dass Berlin ja auch überall Häfen hat, dass der Name also gar nicht so abwegig sei. Als Logo wählten wir ein Papierschiffchen, mit dem wir auch zeigten, dass wir uns selbst ein bisschen auf die Schippe nehmen. Ernster genommen haben es eher die Leute von der HO-Direktion, die sogar eine Delegation zur HO in Rostock schickten, um sich beraten zu lassen. Die Rostocker zeigten sich richtig eifrig. Sie vermittelten einen Architekten und Kontakte zur Neptunwerft, wo Fischernetze und Fischerkugeln für die Innenausstattung gekauft wurden. Letztlich geriet das viel teurer als geplant, denn eigentlich wollte die Berliner HO nur ein paar Bilder anhängen und fertig ist die Erlebnisgaststube. Aber wir haben richtig was draus gemacht, und als wir eröffneten, war alles dufte. Plötzlich wollten hier alle feiern und essen.
Essen in der Nachtbar?
Das war ja das Besondere. Man konnte die ganze Nacht essen, so was gab’s woanders gar nicht. Wir hatten in der einen Ecke die Nachtbar, wo unsere Tanzkapellen aus Bulgarien oder Ungarn spielten und geschwooft wurde, und in der anderen das Restaurant. Der große Renner war damals Steak mit Champignons.
Herrschte rund um die Uhr Betrieb?
Am Wochenende hat’s gebrummt, aber an den anderen Tagen war wenig los, weil die Leute ja früh zur Arbeit mussten. Deshalb mussten wir uns was einfallen lassen, zum Beispiel den Nixenball montags.
Mit halbnackten Schönen?
Nee, das war einfach verkehrter Ball. Jeder Gast bekam einen Zettel, auf dem stand, wie sich die Damen und Herren zu verhalten haben, also dass die Frauen die Männer zum Tanzen auffordern. Das kam unwahrscheinlich an, vor allem bei den Bauarbeitern.
Bauarbeiter?
In den Siebzigern wurden aus der ganzen DDR Bauarbeiter nach Berlin geschickt, um das Wohnungsbauprogramm zu erfüllen. Normalerweise fuhren die am Wochenende wieder nach Hause, ehe sie dienstags zum Arbeiten zurückkamen. Irgendwann erzählten sie ihren Familien, dass sie nun auch montags arbeiten und einen Tag früher zurück nach Berlin müssten. Dabei wollten die zu unserem Nixenball, weil da immer hübsche Mädchen waren.
Waren Sie als Kind von der Seefahrt fasziniert?
Alte Kapitänsbilder fand ich toll, aber die Liebe zum Maritimen hat sich erst hier entwickelt. Wir hatten sogar einen Patenschaftsvertrag mit der Seereederei Rostock, die uns auch ein Patenschiff vermittelte – die „Theodor Storm“, die Bananen aus Ecuador in die DDR holte.
Konnten Sie ihr Patenschiff mal besuchen?
Das Schiff im Überseehafen Rostock zu betreten, war ja genauso schwierig wie ein Besuch im Grenzgebiet. Der Kapitän musste einen Antrag stellen. Zweimal durften wir aufs Schiff und sogar dort übernachten. Eher aber kreuzten die Seeleute mal bei uns auf und sie schickten uns Karten aus fremden Ländern.
Sorgte das nicht für Fernweh?
Na klar. Einmal hieß es, ganz vielleicht gäbe es die Möglichkeit für meinen Küchenchef und mich, auf der „Theodor Storm“ nach Ecuador mitzureisen. Wir sollten das beantragen, aber die Genehmigung blieb aus. Dem Kapitän war damals auch ein Matrose abgestiegen, also „republikflüchtig“ geworden. So blieb es dabei, dass wir weiter nur die Bullaugen in unserer Bar sahen und das präparierte Krokodil und den Sägefischzahn, den uns die Seeleute aus Ecuador mitgebracht hatten. Auf die exotischen Sachen waren wir natürlich sehr stolz.
Mit Hafenbar verbindet man eine gewisse Verruchtheit – leichte Mädels, Prügeleien, Glücksspiele. Gab’s das hier?
Genau das fand hier nicht statt. Hier herrschte eine ganz seriöse Atmosphäre, lustig und gemütlich. Was Sie ansprechen, kam erst nach der Maueröffnung. Als die Bild-Zeitung einen Bericht über die Hafenbar machte, ließ der Fotograf auch zwei Kolleginnen freundlich posieren. In der Zeitung wurden die plötzlich wie eine Art Animiermädchen dargestellt. Solche Anzüglichkeiten kannten wir doch gar nicht.
Gab’s nicht mal Stress mit den Bauarbeitern oder am Einlass, weil üblicherweise der Andrang groß war?
Das stimmt, es wollten immer viel mehr Leute in eine Tanzbar, als es Plätze gab. Aber, das hört sich zwar doof an: die Leute in der DDR waren diszipliniert. Die sind abends gekommen und haben sich angestellt.
In der DDR war der Kellner König, Plätze wurden oft unter der Hand vergeben.
Irgendwelche Deals mit Reservierungen habe ich grundsätzlich nicht zugelassen. Unser Laden wurde nie HO-mäßig geführt, eher wie ein privater. Gemauschel gab’s hier nicht, obwohl das bestimmt auch über uns behauptet wurde, weil man es in der DDR einfach nicht anders kannte.
Aber Sie hatten schon auch Prominenz auf der Gästeliste?
Bei uns verkehrten sie alle – vom Bauarbeiter bis zu Ministern.
Die Hafenbar ein Vorzeigeobjekt der DDR-Erlebnisgastronomie?
Wir wurden tatsächlich öfters für offizielle Festivitäten ausgewählt. Bei uns verkehrten Diplomaten, auch von der westdeutschen Botschaft, die ja um die Ecke lag, aber es kamen auch viele normale Westberliner. Die Hafenbar hatte eben den Ruf, recht niveauvoll zu sein, kein Bumsladen. Hier lag Teppich aus, die Tische waren eingedeckt mit Sektkühlern, alles schick. Die Ostberliner haben gern ihren Westbesuch hierher geführt. Eine Weile kam sogar regelmäßig ein Bus mit Ami-Soldaten. Die haben voll einen draufgemacht und noch die anderen Gäste dazu eingeladen, das war toll.
So viel Ost-West-Verkehr musste doch die Stasi aufmerksam machen.
Es ist doch kein Geheimnis, dass jeder Nachtladen irgendeinen, ich sage mal, Betreuer hatte. Der Horch-und-Guck-Mann für die Hafenbar hatte sich mir sogar vorgestellt. Der war jeden Abend da.
Hat der nur gehorcht und geguckt?
Keine Ahnung. Der ist nicht groß in Erscheinung getreten, der saß einfach da und wir haben uns nicht groß um den geschert. Nur als die Polizei kam, nachdem es zwischen den Gästen doch mal etwas Ärger gab, ahnten wir, dass er sie wohl angerufen haben wird. Ansonsten ist hier nie was passiert, bei dem man denken konnte, dass bestimmt der Typ da seine Finger im Spiel hatte.
Hatten Sie gegen Ende der DDR noch große Sehnsucht nach dem Westen, wo doch die Westler zu Ihnen kamen und es Ihnen offenbar ziemlich gut ging?
Natürlich hatte ich früher davon geträumt, in die Welt zu reisen, aber im Prinzip war das Thema für mich erledigt. Meine Jugend war ja vorbei und inzwischen hatte ich mir hier auch was aufgebaut.
Wie erlebten Sie den Mauerfall?
Aufregend. Alle rannten an diesem Abend zur Grenze, meine Leute natürlich auch. Plötzlich stand ich mit meiner Frau, die auch in der Hafenbar arbeitete, allein hier. Und dann kamen auf einmal die Westler, der Grenzübergang Invalidenstraße war ja ganz in der Nähe. Die wollten Sekt und Bier und wir haben die Flaschen massenweise an der Tür verkauft. Am nächsten Tag waren meine Mitarbeiter alle wieder da und es ging halbwegs normal weiter.
Wie lange?
Bis wir Gaststättenleiter dahinterkamen, dass unsere Herren Direktoren von der HO unsere Gaststätten an große Ketten wie Mövenpick vermitteln wollten. Da haben wir um unsere Läden gekämpft, bis die langjährigen Leiter ihre Gaststätten kaufen konnten, besser gesagt, das Inventar. Eigentlich haben wir die Ungewissheit gekauft und das Übel, Leute zu entlassen. Wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt.
Was änderte sich sonst noch mit der neuen Zeit?
Die neuen Realitäten zeigten sich schnell auch im Nachtleben. Wegen Arbeitslosigkeit und steigender Mieten hatten viele Leute kein Geld mehr für eine Nachtbar. Und wenn sie einen Job hatten, ging das auch nicht mehr so wie es manche früher machten: Krank melden und feiern gehen. Irgendwann bekamen wir eine ganz andere Gästeklientel, die, sage ich mal, relativ niveaulos war. Einige dachten, sie können sich benehmen wie sie wollen, warfen Zigaretten auf den Boden und so.
Und mit gepflegter Tanzmusik war wohl auch keiner mehr zu locken?
Teure Kapellen konnte ich nicht mehr beschäftigen, stattdessen nur noch DJs. Ich habe verschiedene Sachen versucht, HipHop und wie das alles hieß.
Berlin wurde in den Neunzigern zur Technohauptstadt – für die Hafenbar eher eine schlimme Zeit?
Meine Söhne haben mit Techno angefangen und machen das bis heute an zwei, drei Abenden im Jahr hier in der Hafenbar. Irgendwann tauchte dann Fabian Böckhoff mit seiner Schlagershow bei uns auf. Nachdem die so gut lief, haben er und Stefan Rupp ein Konzept für eine regelmäßige Schlagerveranstaltung entwickelt. „Stimmen in Aspik“ gibt es nun seit 16 Jahren immer freitags, dazu kommt samstags „Kaptains Karaoke“, auch mit deutschen Schlagern. Das läuft gut.
Eigentlich mussten Sie nur durchhalten, bis das Alte wieder cool wird und sich das unhippe Mitte-Berlin eine feste Partyinsel sucht?
Bei den Schlagerpartys sieht man tatsächlich den Banker im Anzug neben dem Maurer in Jeans. Dafür ist Schlager genau das richtige Ding. Spätestens bei „Griechischer Wein“ liegen sich alle in den Armen.
Hat das was mit typisch Berlin zu tun oder eher mit typisch Schlagervolk?
Ach, das könnte man sicher auch woanders machen. Aber es ist eine besondere Atmosphäre hier. Das ist heute auch unser Plus gegenüber neuen Häusern. Bei uns ist alles echt, alles zum Anfassen. Man traut sich ja kaum, den Leuten unseren Laden im Hellen zu zeigen. Aber die finden das gut.
Haben Sie mal im Urlaub andere Hafenbars besucht?
Nein, mich interessieren mehr Schiffe. Aber ich vermute mal, dass so was wie die Hafenbar Berlin sicher einmalig ist.