: Die Legende vom Förster im polnischen Wald
BIOGRAFIE Knud von Harbou hat mit seinem Buch über den Gründungsherausgeber der „Süddeutschen Zeitung“, Franz Josef Schöningh, ein Stück verdrängte Zeit- und Zeitungsgeschichte aufgearbeitet
Man ist immer wieder verblüfft, mit welcher Energie und Ausdauer Menschen ihre Biografie mit Legenden und Girlanden ausstatten – gegenüber nahen Angehörigen ebenso wie gegenüber der Öffentlichkeit und der Justiz.
Der ehemalige Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ) und Verlagslektor Knud von Harbou recherchierte für sein Buch die Geschichte und die Lebenslügen des Franz Josef Schöningh (1902–1960), eines Anteilseigners und Gründungsherausgebers der SZ, die am 6. 10. 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht eine Lizenz erhielt. Schöningh war für das Feuilleton der SZ zuständig, Verlagsgeschäftsführer und Erfinder des „Streiflichts“. Nach den Regeln, die sich die Amerikaner selbst gaben, hätte Schöningh die Lizenz verweigert werden müssen. Er war nicht nur der konservative Chefredakteur der katholischen Zeitschrift Hochland, als der er sich profilierte, sondern mittelbar beteiligt an schweren Verbrechen in Ostpolen während des Krieges.
Knud von Harbous Vater, Mogens von Harbou (1905–1946), war Jurist und beging 1946 in Kriegsgefangenschaft Selbstmord, weil ihm die Auslieferung an Polen bevorstand, wo er von 1941 an in Sambor und Tarnopol Kreishauptmann war. Er bot dem promovierten Wirtschaftshistoriker Franz Josef Schöningh eine Stelle in der deutschen Zivilverwaltung des Generalgouvernements als sein Stellvertreter an.
Arbeitsteiliger Mord
In der Zivilverwaltung waren rund 17.500 Personen beschäftigt und damit befasst, das Generalgouvernement „judenfrei“ zu säubern, das heißt, jüdische Bürger zu registrieren, sie in Arbeitsfähige und Nichtarbeitsfähige einzuteilen, beide Gruppen zu kasernieren und zu deportieren. Im Verwaltungsjargon lief diese Selektion unter den Bezeichnungen „Umsiedlung“ und „Judenaktion“, aber Täter wie Opfer wussten, dass es um Zwangsarbeit für Arbeitsfähige und um die Ermordung des Rests ging. Von Harbou und Schöningh arbeiteten an einem Brennpunkt der „Endlösung“, denn 1941, nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, hatte sich der Plan zerschlagen, Juden nach Osten oder Madagaskar abzuschieben.
Ohne die logistische Zuarbeit durch die Zivilverwaltung wäre es nicht möglich gewesen, in knapp zwei Jahren einen großen Teil der 540.000 galizischen Juden zu ermorden. Nach dem Krieg beteuerten die Kreishauptleute und ihre Gehilfen, die Morde seien allein von SS, Sicherheitsdienst, Polizeieinheiten und Wehrmacht verübt worden. Die neuere Forschung belegt dies als bloße Schutzbehauptung.
Knud von Harbous Buch ist weit mehr als eine Biografie Schöninghs – ein starkes Stück Zeit- und Zeitungsgeschichte. Das Buch beruht auf Briefen und Tagebüchern, die sich im Nachlass Schöninghs erhalten haben und die zufällig wieder entdeckt wurden. Der Autor verknüpft biografische Splitter geschickt mit den jüngsten Forschungsergebnissen zum arbeitsteilig geplanten und organisierten Tableau vom Massenmord. Die Studie besticht durch ihren subtilen Umgang mit den Quellen, bei deren Interpretation sich von Harbou weder in moralischer Rechthaberei verfängt noch an der Legende der „sauberen Zivilverwaltung“ weiterstrickt.
Der passionierte Jäger Schöningh suggerierte seiner Familie wie seinen Kollegen zeitlebens, er sei während des Krieges „Förster in den polnischen Wäldern“ gewesen und nicht Teil der Nazi-Vernichtungsmaschine. Die Witwe von Harbous, die nach dem Suizid ihres Mannes mit Schöningh liiert war, vermittelte ihren Kindern, ihr Vater habe in Polen als „Landrat“ gewirkt. Der Sohn Knud zerstört das Lügengespinst grandios. Respekt.
RUDOLF WALTHER
■ Knud von Harbou: „Wege und Abwege. Franz Joseph Schöningh, der Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung. Eine Biografie“. Allitera Verlag, München 2013, 357 Seiten, 22,90 Euro