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Archiv-Artikel

Liebe ist himmlisch

VON PHILIPP GESSLER

Das Ganze hat natürlich seine absurden Seiten. Ein alter Mann schreibt über die Liebe. Einer, wohlgemerkt, der – seit mehr als einem halben Jahrhundert – keinerlei Liebe im sexuellen Sinne des Wortes erfahren durfte. Er verkündet das, was er angesichts dieser Erfahrung unter Liebe versteht, allen Menschen, ja der Milliardenschar katholischer Christinnen und Christen ziemlich verbindlich (wenn auch nicht „unfehlbar“). Und: Er schwärmt von der Liebe.

Die Rede ist von Papst Benedikt XVI., dem Deutschen Joseph Ratzinger, der seit April vergangenen Jahres als Nachfolger Petri die größte Glaubensgemeinschaft der Welt führt. Nach einer längeren Kunstpause – das Schreiben wurde am Weihnachtstag vergangenen Jahres unterzeichnet – hat er seine erste Enzyklika veröffentlicht, ein päpstliches Lehrschreiben, das sich an die gesamte Kirche richtet. Die knapp 80-seitige Schrift wurde mit einiger Spannung erwartet, denn manche Päpste nutzten ihre erste Enzyklika, um ihrem Pontifikat programmatisch eine Perspektive zu geben. Und weil Papst Benedikt XVI. bisher über die Richtung, in die er als absolutistischer Herrscher seine Kirche lenken will, wenig Klares geäußert hat, hofften (oder fürchteten) viele, dass er dies in dieser Schrift tun könnte.

Von einer programmatischen Schrift aber kann bei dieser Enzyklika mit dem schönen Titel „Deus caritas est“, „Gott ist Liebe“, keine Rede sein. (Kirchen-) politische Aussagen finden sich so gut wie keine. Reizthemen wie „Homoehe“, Aids, Empfängnisverhütung kommen mit keinem Wort vor, obwohl dies beim Thema „Liebe“ durchaus möglich, ja fast erwartbar gewesen wäre. Stattdessen hat der Papst einen Hymnus auf die Liebe geschrieben – und man kann darüber streiten, ob das nicht auch eine programmatische Bedeutung haben könnte.

Zumindest ist festzuhalten: Stilistisch hat der Text durchaus seine Reize – und häufiger fragt man sich unversehens, woher der Mann so seine Informationen hat. Fast am Anfang des Schreibens und nach einem Exkurs über verschiedene Bedeutungen des Wortes „Liebe“ erklärt Benedikt etwa: „In dieser ganzen Bedeutungsvielfalt erscheint aber doch die Liebe zwischen Mann und Frau, in der Leib und Seele untrennbar zusammenspielen und dem Menschen eine Verheißung des Glücks aufgeht, die unwiderstehlich scheint, als der Urtypus von Liebe schlechthin, neben dem auf den ersten Blick alle anderen Arten der Liebe verblassen.“

„Ja, Liebe ist ‚Ekstase‘ “

Einige Passagen in dem Text begeistern sich geradezu an der Liebe, und auch wenn das hier theologisch gesprochen ist, wird dabei offenbar auch die körperliche Liebe gemeint: „Ja, Liebe ist ‚Ekstase‘, aber Ekstase nicht im Sinn des rauschhaften Augenblicks, sondern Ekstase als ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes“, heißt es an einer Stelle. Oder, ganz schlicht: „Liebe wächst durch Liebe.“

Nun ist aus dem Papst auf seine alten Tage natürlich kein Hippie der freien Liebe geworden, das nicht. Denn die körperliche Liebe, die der Papst meint und gutheißt, ist ausdrücklich nur die zwischen Mann und Frau, genauer: zwischen Ehemann und Ehefrau. Keine Hoffnung also für Homosexuelle, deren eingetragene Partnerschaft oder „Homoehe“ der Papst weltweit leidenschaftlich bekämpft. „Dem monotheistischen Gottesbild“, so stellt der Pontifex maximus fest, „entspricht die monogame Ehe.“ Basta, oder besser: Amen.

Sieht man einmal ab von eher obskuren Stellen wie der Erwähnung der „ ‚heiligen‘ Prostitution“ von anno dunnemals, so hat die Enzyklika eindeutig eine Absicht: Sie betont, dass die Kirche zur Liebe im umfassenden Sinne des Wortes eine durchaus positive Einstellung habe. Benedikt XVI. ist darum bemüht, den Vorwurf der Leibfeindlichkeit, der Roms Kirche (oft zu Recht) gemacht wird, zu entkräften. „Vergällt uns die Kirche mit ihren Geboten und Verboten nicht das Schönste im Leben?“, fragt er rhetorisch. „Stellt sie nicht gerade da Verbotstafeln auf, wo uns die vom Schöpfer zugedachte Freude ein Glück anbietet, das uns etwas vom Geschmack des Göttlichen spüren lässt?“

Die Antworten sind erwartbar: Nein, das Verlangen des Fleisches, Sex (das Wort fällt selten), sei in Ordnung, nicht aber „die falsche Vergöttlichung des Eros“, denn sie „beraubt ihn seiner Würde, entmenschlicht ihn“. Die Sexindustrie wird, kaum verwunderlich, verurteilt. Und der mahnende Zeigefinger fehlt auch nicht, denn der Eros bedürfe „der Zucht, der Reinigung“, wie der Papst schreibt, „um den Menschen nicht den Genuss eines Augenblicks, sondern einen gewissen Vorgeschmack der Höhe der Existenz zu schenken – jener Seligkeit, auf die unser ganzes Sein wartet“. Der Papst sieht also die Liebe der Menschen untrennbar verbunden mit dem Transzendenten. Für ihn ist die Liebe etwas Himmlisches auf Erden. Durch Gottesliebe zur Menschenliebe und durch Menschenliebe zur Gottesliebe, so ließe sich das Schreiben zusammenfassen.

Ein wenig Wärme

Das ist so neu nicht, aber gut geschrieben, was nicht weiter verwundert, denn der elegante Stil Ratzingers wurde selbst von den Liberalen in der Kirche oft gelobt, die seit Jahrzehnten unter ihm leiden. Schließlich gerierte sich der heutige Papst als immer konservativer werdender Theologieprofessor in Deutschland und schließlich als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom stets als bissiger Glaubenshüter der allein selig machenden Kirche. Auch diese Enzyklika zeigt keinen neuen Ratzinger. Liberaler ist er nicht geworden. Aber es schimmert doch in seinem Text ein wenig Wärme, vielleicht (Alters-)Milde durch. Das ist schon eine Nachricht bei diesem distanziert-professoralen Menschen.

Dass am Ende wieder Maria als Gottesmutter und Sinnbild der wahren Liebe gefeiert wird – geschenkt. Hier steht Benedikt XVI. ganz in der zölibatären Tradition des großen Marienverehrers Johannes Paul II., von dem angeblich auch einige Gedanken dieser Enzyklika stammen. Interessanter sind andere Stellen der Enzyklika, an denen der Papst etwa die Armen als „den wahren Schatz der Kirche“ bezeichnet oder den religiös motivierten Terrorismus verurteilt. Anregend auch die Aussage, dass der Vorwurf an die Kirche nicht zutreffe, mit ihrem karitativen Einsatz für die Armen, Elenden und Alten wirke sie „systemstabilisierend“. Keineswegs, betont Benedikt XVI., werde durch die Liebesdienste der Kirche „das revolutionäre Potenzial gehemmt und damit der Umbruch zur besseren Welt aufgehalten“. An einer Stelle lobt der Papst sogar vorsichtig den Marxismus des 19. Jahrhunderts: „Die Produktionsstrukturen und das Kapital waren nun die neue Macht, die, in die Hände weniger gelegt, zu einer Rechtlosigkeit der arbeitenden Massen führte, gegen die aufzustehen war.“ Ob Attac und Co. sich darauf berufen werden?

„Die Liebe ist möglich, und wir können sie tun, weil wir nach Gottes Bild geschaffen sind“, so fasst Benedikt XVI. selbst sein Lehrschreiben zusammen. Wer es gelesen hat, wird kaum genauer wissen, wohin die Reise mit oder unter dem neuen Papst geht. Aber einem klugen alten Mann zugehört hat er schon.