„Am Ende gibt es nur noch den Off-Text“

FLUGHAFENBEKANNTSCHAFTEN Ein Gespräch mit der deutschen Regisseurin Angela Schanelec über den Film „Orly“, der im Forum läuft

■ ist 1962 in Aalen geboren und war seit 1984 Schauspielerin, bevor sie 1990 das Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin aufnahm. Für die Inszenierungen des Theaterregisseurs Jürgen Gosch übersetzte sie gemeinsam mit ihm Shakespeare.

■ Als Regisseurin wird sie, wozu auch immer es gut ist, der „Berliner Schule“ zugerechnet. Mit Filmen wie „Marseille“ (2004) und „Mein langsames Leben“ (2001) hat sie eine treue Fangemeinde gewonnen.

■ Dass sie in ihren Filmen eine sehr eigenständige, sehr genaue Bild- und Erzählsprache entwickelt hat, leugnen auch jene nicht, die diese Sprache nicht lieben.

INTERVIEW EKKEHARD KNÖRER

taz: Frau Schanelec, ich war sehr verblüfft, als ich vom Konzept des Films gehört habe. Ihre Filme waren bisher doch durch ein großes Maß an Kontrolle geprägt, in jeder einzelnen Einstellung. Mit der Idee, komplett ohne Absperrung mitten im Flughafen zu drehen, ist das auf einen Schlag aufgesprengt.

Angela Schanelec: Mein Interesse war aber gerade der Flughafen, waren die Leute, die da sind. Die Idee hatte ich nur, weil ich fand, dass dieser Raum den Leuten etwas gibt, was schön ist, was man Lust hat zu fotografieren. Mein ursprüngliches Interesse ging also von den Leuten aus. Alles andere hat sich dem dann untergeordnet. Was im Raum geschah, war das Maß der Dinge. Es war nicht so, dass sich die Leute den Schauspielern anpassen sollten, sondern umgekehrt.

Wie haben die Schauspieler das erlebt? Für sie muss es doch eher eine Art Theatersituation gewesen sein, weil sie nicht unmittelbar auf die Kamera reagieren, wenn die so weit weg ist.

„Dieser Raum gibt den Leuten etwas, was schön ist“

Wir haben vor Drehbeginn probiert, weil klar war, dass Proben an den Drehtagen zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Es hätte auch weder Zeit noch Raum dafür gegeben. Die Schauspieler bekamen ihre Mikroports und saßen irgendwo, wo wir einen Platz für sie fanden, der uns gefiel. Es gab immer diesen Moment, in dem sie das Zeichen zum Anfangen bekamen. Von da an waren sie aber völlig für sich und haben gespielt. Im ersten Teil, in dem Raum, in dem das Paar mit dem Rücken zum Fenster sitzt, und ihnen gegenüber eine ganze Reihe mit Leuten, noch zwischen ihnen und der Kamera, da dachte ich auch: Das ist wirklich wie Theater. Das war ungewohnt, aber alle waren darauf eingestellt und haben das akzeptiert. Dadurch, dass die Einstellungen und Dialoge so lang sind und wir das richtig probiert hatten, war es tatsächlich so, dass ich mich nicht mehr um sie kümmern musste.

Zu den Geschichten, die Sie in dem Film erzählen. Wie sind die entstanden? Und was hat sie für Ihr Empfinden zu Flughafengeschichten gemacht?

Entstanden sind sie in der Reihenfolge, in der sie jetzt auch im Film sind. In einer früheren Version begegneten sich in der ersten Geschichte ein Mann und eine Frau, die sich von früher kennen und lange nicht gesehen haben. Weil es mir so unwahrscheinlich vorkam, dass sich zwei Menschen am Flughafen kennenlernen. Man denkt immer, das passiert, aber eigentlich passiert das ja gar nicht. Aber da es dann in der zweiten Geschichte um eine gemeinsame Vergangenheit geht, zwischen Mutter und Sohn, da kam mir die erste zu belastet vor und ich habe sie noch einmal neu geschrieben.

■ In Schanelecs fünftem Spielfilm, für den sie zum ersten Mal Digitalkameras benutzt hat, lernen sich ein Mann und eine Frau kennen. Ein Sohn kontert das intime Geständnis seiner Mutter. Nicht alle Geschichten, die erzählt werden, treten zueinander in Beziehung.

■ Erstaunlich ist, wie Schanelec den Ort des Geschehens, den Pariser Flughafen Orly, ins Spiel bringt und gemeinsam mit ihrem Stammkameramann Reinhold Vorschneider ins Bild setzt.

■ Die Geschichten sind mitten im Alltagsgeschäft des Flughafens gedreht. Die Kamera lässt sich auf den Ort und die Menschen ein, bis eine Gegenbewegung einsetzt: Ein verdächtiges Gepäckstück führt zur Räumung des Flughafens.

Die Bewegung von „Orly“, also dem Film selbst, scheint mir eine Entwicklung von zwei sehr konzentrierten Geschichten hin zu einer Öffnung, eine Art Ausfransen oder eine Bewegung hin zu einer Form von Leere. Die Geschichte der jungen Deutschen hat schon keinen eigentlichen Kern mehr. Danach wegen des Bombenverdachts dann die Entleerung des Flughafens selbst.

Ja, das stimmt, alles geht hin zur Leere. Dass es da dann nur noch die Worte gibt und das leere Bild, das finde ich schon ziemlich ideal. Der ganze Film ist von der ersten Einstellung hin zum Ende der Weg zu dem, was ich eigentlich wollte. Entsprechend sind auch die Geschichten geschrieben. Am Anfang ganz klassisch: Ein Mann und eine Frau lernen sich kennen. Dann gibt es ein Paar, die kennen sich bereits, haben aber ein Thema. Dann gibt es ein Paar, die haben im Grunde kein Thema mehr und verlieren sich schon wieder. Und am Ende gibt es nur noch den Off-Text und alle Menschen sind weg. Diese Entwicklung, die stand sehr, sehr schnell fest. Nicht als Konzept, aber als starkes Gefühl. Dass ich dachte, okay, da kann ich machen, was mich interessiert.