: Werder rutscht aus
Champions-League-Aspirant Bremen verliert gegen Drittligist St. Pauli und schiebt die Schuld auf den Schnee
MILLERNTOR taz ■ „Ich hab schon drei Jobs, ich mach hier nicht auch noch den Türsteher.“ Holger Stanislawski, Vizepräsident und Sportdirektor des FC St. Pauli, aber offiziell nur Praktikant, war trotz des 3:1-Viertelfinalsieges gegen den SV Werder Bremen kurzzeitig genervt, weil man von ihm verlangte, die Verkehrsregelung im überfüllten Presseraum zu übernehmen. Es herrschte ein Tohuwabohu, das bestens zu all den Klischees passte, die über den Klub vom Millerntor im Umlauf sind: Zu Beginn der Pressekonferenz funktionierten die Mikrofone nicht, und am Ende ergab sich für Werder-Trainer Thomas Schaaf noch ein ungewöhnliches Problem auf dem Weg zum Mannschaftsbus. Als er das Vereinsheim verlassen wollte, lag ihm ein Teenager im Weg. Der Alkohol hatte dem robusten Jüngling offensichtlich die letzten Kräfte geraubt.
Für Schaaf war der verzögerte Abgang das letzte Malheur an diesem missratenen Tag. „Verantwortungslos und fahrlässig“ sei es gewesen, das Spiel überhaupt anzupfeifen, schimpfte er. Der Coach machte den schneebedeckten, rutschigen Untergrund dafür verantwortlich, dass Miroslav Klose kurz vor der Pause eine Schulterverletzung erlitten hatte und nun mindestens vier Wochen ausfällt, unter anderem für das Champions-League-Achtelfinale gegen Juventus Turin. Hätte Schiedsrichter Brych den Platz für unbespielbar erklärt, wären allerdings 6,3 Millionen TV-Zuschauer um ein exzellentes Abendvergnügen gebracht worden. So viele Menschen waren live in der ARD dabei.
Doch über Quoten mochten sich die Bremer Akteure nach dem Spiel verständlicherweise keine Gedanken machen. „Du konntest nicht in die Zweikämpfe gehen, weil du keinen Stand hattest, das Einzige, was du machen konntest, war geradeaus laufen“, sagte Frank Baumann. Ivan Klasnic versuchte sich sogar als Verschwörungstheoretiker: „Wäre heute der FC Bayern Gegner gewesen, hätte der Schiedsrichter nicht angepfiffen.“
Wenn eine der besten 16 Mannschaften Europas bei einem Drittligisten 1:3 verliert, taugt der Verweis auf die widrige Platzverhältnisse als Entschuldigung natürlich nur bedingt. Schwierigkeiten beim Antritt, mangelnde Trittfestigkeit beim Sprung zum Kopfball, seltsam springende Bälle – damit mussten auch St. Pauli klarkommen. Und von einem WM-Kandidaten wie Tim Borowski darf man erwarten, dass er auch unter solchen Bedingungen einen Elfer verwandelt. Statt dessen gab er FC-Keeper Achim Hollerieth die Gelegenheit zur Heldentat (78.). St. Pauli bediente sich, ähnlich wie im Achtelfinale gegen Hertha, einer Doppelstrategie. Teil eins: Laufen bis zum Umfallen. Teil zwei: Flanken und Ecken immer hoch und sehr dicht vors Tor schlagen. Als einer der Schlüsselspieler erwies sich Mittelfeldmann Timo Schultz. Der 28-jährige Lehramtsstudent bereitete Fabian Bolls Volleytreffer zum 2:1 vor. Den entscheidenden Treffer gegen die in der zweiten Halbzeit abwesend wirkenden Bremer machte er gar selbst.
Sein Klub, der seine Existenz zu einem erheblichen Teil dem Finanzamt verdankt, das für eine Umsatzssteuerschuld von 800.000 Euro aus dem Jahr 2002 generöse Zahlungskonditionen gewährte, ist jetzt beinahe frei von Sorgen, denn im Halbfinale betragen allein die TV-Einnahmen eine Million Euro. Doch der Erfolg bringt unter Umständen neue Probleme: Wenn St. Pauli dank günstiger Auslosung in den Uefa-Cup gelangt, kann der Klub nicht am Millerntor spielen. Sollte die Uefa die permanent renovierungsbedürftige Anlage in Augenschein nehmen, würden ihr wohl die Sinne schwinden. Wie dem jungen Mann, der Thomas Schaaf den Weg versperrte. RENÉ MARTENS