piwik no script img

Archiv-Artikel

Zu Besuch beim Waffendealer

RÜSTUNGSINDUSTRIE Im südlichen Baden-Württemberg protestieren Aktivisten vor den Toren von Heckler & Koch. Sie fordern, den Handel mit Kleinwaffen zu verbieten

„Nächstes Jahr wollen wir Heckler & Koch mit 3.000 Leuten einkreisen“

CHRISTINE HOFFMANN, PAX CHRISTI

AUS VILLINGEN-SCHWENNINGEN UND OBERNDORF WOLF-DIETER VOGEL

Die indische Delegation forderte Blumen statt Waffen, ein Chor sang die „Moorsoldaten“, und ein Transparent am Metallzaun mahnte: „Jede Waffe findet ihren Krieg“. Hinter dem Zaun: „Europas tödlichstes Unternehmen“, wie der Pazifist Jürgen Grässlin die Schwarzwälder Rüstungsschmiede Heckler & Koch bezeichnet.

Rund 300 Friedensbewegte sind vergangenen Samstag aus dem nahegelegenen Villingen-Schwenningen angereist, um vor den Werkstoren der Oberndorfer Firma zu fordern, worüber man in den letzten Tagen auf dem Kongress „Zielscheibe Mensch“ diskutiert hatte: „Stoppt den Kleinwaffenhandel!“

Der Ort für die Konferenz, die ab Donnerstag in Villingen stattfand, war gut gewählt, auch der Zeitpunkt passte. Vor wenigen Wochen hatte Heckler & Koch erstmals zugegeben, illegal G-36-Sturmgewehre in Krisengebiete Mexikos geliefert zu haben. Zudem war vor wenigen Tagen bekannt geworden, dass der Wert deutscher Kleinwaffenexporte 2012 doppelt so hoch ausfiel wie im Vorjahr. Heckler & Koch zählt zu den wichtigsten Produzenten dieser Waffen, wie Redner der Konferenz, die von der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ ausgerichtet wurde, bestätigten.

Kleinwaffen, also Sturmgewehre, Pistolen oder Panzerfäuste, sind weltweit für 90 Prozent der Kriegsopfer verantwortlich. „Fast zwei Drittel aller Menschenrechtsverbrechen werden durch sie verursacht“, sagte Mathias John von Amnesty International. Die meisten der Toten sind Zivilisten aus den Ländern des Südens. Was das bedeutet, veranschaulichten Mediziner und Rüstungsgegner aus 25 Staaten. So berichtete der nigerianische Arzt Homsuk Swomen von verwundeten Patienten: „Jede Kugel erzählt ihre Geschichte.“

Viele der Geschichten beginnen im südlichen Baden-Württemberg. In Oberndorf produzieren neben Heckler & Koch auch die Pistolenfabriken Mauser und Rheinmetall Defence. Viele hier leben von den Waffenschmieden. Doch das Arbeitsplatzargument ließ der Linken-Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer nicht gelten. Der massive Stellenabbau in der Rüstungsindustrie habe bereits in den 1990er Jahren stattgefunden. „Heute arbeiten dort noch maximal 80.000 Menschen.“ Schäfer setzt sich für eine Produktkonversion ein. „Sollen sie doch wieder Nähmaschinen bauen wie nach dem Krieg, als die Waffenproduktion verboten war“, brachte es ein Diskutant auf den Punkt.

Die Kampagne „Aktion Aufschrei“, getragen von über 100 Organisationen, will vor allem ein grundsätzliches Verbot von Waffenexporten. „78 Prozent der Bevölkerung unterstützen laut Meinungsforschungsinstitut Emnid unsere Forderung“, sagt Grässlin. Zudem seien mehr Transparenz bei Rüstungsgeschäften, eine bessere Kontrolle und eine Einbindung des Parlaments nötig, ergänzte John. Der UN-Waffenkontrollvertrag ATT, der ab heute von den Staaten ratifiziert werden muss, sei trotz seiner Unzulänglichkeiten ein richtiger Schritt. Er ermögliche es, den Export von Waffen und Munition zu unterbinden.

Heckler & Koch ließ am Freitag wissen, man teile das Anliegen des Kongresses und bedauere jedes Kriegsopfer. Die Firma wolle „jene Soldaten und Polizeikräfte“ versorgen, die dafür einträten, „Freiheit und Meinungsfreiheit zu schützen“. Eine zynische Aussage, so Grässlin. Schließlich würden beispielsweise G-36-Gewehre in Lizenz im autoritär regierten Saudi-Arabien produziert.

Kanzlerin Angela Merkel griff am Wochenende eine der Forderungen der Friedensbewegten auf. Sie sei bereit, das Parlament schneller über geplante Rüstungsexporte zu informieren, meldete der Spiegel. Die Aktivisten stellt das nicht zufrieden. „Nächstes Jahr wollen wir Heckler & Koch einkreisen“, sagte Christine Hoffmann von Pax Christi. „Dafür brauchen wir 3.000 Leute.“