: Elefantenhochzeit auf dem Stahlmarkt
Der indische Weltmarktführer Mittal Steel will Europas größten Stahlkonzern Arcelor übernehmen. Auch ThyssenKrupp könnte von dem Deal profitieren und weltweit auf Platz fünf der Stahlerzeuger aufsteigen. Auch die IG Metall ist vom Deal überzeugt
von BEATE WILLMS
Es wäre die größte Übernahme in der Geschichte der Branche: Die weltweite Nummer eins auf dem Stahlmarkt will die Nummer zwei kaufen. Rund 18,6 Milliarden Euro bietet die indische Mittal Steel für die luxemburgische Arcelor. Das ist fast ein Drittel mehr als der Donnerstag-Schlusskurs der Arcelor-Aktie an der Pariser Börse. Die Übernahme muss von der EU-Wettbewerbskommission und den Kartellbehörden genehmigt werden. Kommt die Fusion zustande, würde auch der deutsche ThyssenKrupp-Konzern profitieren: Mittal sagte den Essenern gestern zu, ihnen dann den kanadischen Produzenten Dofasco zu verkaufen. Um ihn bot ThyssenKrupp zuletzt mit Arcelor um die Wette – und verlor.
Der neue Stahlkoloss hätte einen Börsenwert von rund 32,84 Milliarden, einen Umsatz von rund 56,5 Milliarden Euro und weltweit mehr als 250.000 Beschäftigte. Nach den letzten vorliegenden Zahlen produzierten Mittal Steel und Arcelor 2004 zusammen 119 Millionen Tonnen Stahl. Das ist ein Anteil von gut zehn Prozent am Weltmarkt. Die neue Nummer zwei, die japanische Nippon Steel, schaffte mit 31 Millionen Tonnen nicht einmal ein Drittel davon. ThyssenKrupp produziert bislang jährlich knapp 18 Millionen Tonnen.
Branchenexperten hatten nicht mit einer so schnellen Fusion gerechnet: „Das ist wirklich überraschend gekommen“, sagte der Stahlexperte Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung der taz. Bislang hatten sich die beiden Stahlriesen ein gigantisches Wettrennen geliefert. Mittal Steel, das von dem gebürtigen Inder Lakshmi Mittal geführt wird, ist allein in den letzten vier Jahren um 100 Prozent gewachsen – und hat noch keinen einzigen Standort weltweit geschlossen. Erst im letzten Frühjahr jagte Mittal Arcelor die Weltmarktspitze ab, indem er den US-Stahlkonzern International Steel aufkaufte. Ende Oktober übernahm er den ukrainischen Produzenten Kriworoschstal und baute damit seinen Vorsprung weiter aus. Arcelor schlug vor wenigen Tagen zurück und ersteigerte den kanadischen Marktführer Dofasco – gegen ThyssenKrupp.
Nun scheint es, als würde Lakshmi das Rennen endgültig für sich entscheiden. Da sich Arcelor gestern zunächst nicht zu den Plänen äußern wollte, gilt die Übernahme allgemein als feindlich. Für Mittal jedoch wäre sie ein hervorragender Coup: Mit der neuen Größe wäre der Konzern in der Lage, sowohl mit seinen Rohstofflieferanten als auch mit seinen Abnehmern etwa in der Automobilindustrie auf Augenhöhe zu verhandeln. Denn bei den Erzgruben und den Stahlverbrauchern ist die Konzentration schon viel weiter fortgeschritten als im Stahlbereich. Und auch vom Portfolio her ergänzen sich die beiden Unternehmen: „Arcelor produziert in einem Qualitätsbereich, der Mittal bisher völlig fehlt“, sagte Friedhelm Matic, Stahlexperte der IG Metall. Der Luxemburger Konzern fertigt hochwertige Flachprodukte und Qualitätsstahl für Autos. Mittal stellt hauptsächlich Draht und Blankstahl her.
Durch den Zukauf von Dofasco klettert ThyssenKrupp vom zehnten auf den fünften Platz in der Weltstahlliga. Doch auch die deutschen Arcelor-Töchter Eko-Stahl, Stahlwerke Thüringen und Stahlwerke Bremen dürften gewinnen. „Vor allem die Werke in Thüringen und Eisenhüttenstadt könnten ihre Position verbessern“, sagte Matic. Arcelor-Chef Guy Dolle hatte bislang die Unternehmen mit Hafenzugang bevorzugt. „Mittal dagegen geht es vor allem um Effektivität“, sagt Matic. „Da sind alle deutschen Werke sehr konkurrenzfähig.“
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