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Archiv-Artikel

Haynstraße: Der Kampf geht weiter

Hamburgs ältestes Wohnprojekt muss sich am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht gegen die zehnte Kündigung samt Räumungsklage zur Wehr setzen. Kurios: Einige Bewohner wurden gezwungen, gegen sich selbst zu klagen

Von Gernot Knödler

Die Geschichte der Mietergemeinschaft Haynstraße ist die Geschichte einer 35 Jahre währenden juristischen Auseinandersetzung. Und die ist für Hamburgs ältestes Wohnprojekt noch nicht vorbei: Übermorgen entscheidet des Oberlandesgericht, ob der Gesamtmietvertrag für das am Vorabend des Ersten Weltkriegs errichtete Wohnhaus gekündigt werden kann. „Wenn wir da verlieren, ist das Wohnprojekt weg“, orakelt Bernd Vetter, Hausbewohner und Rechtsanwalt.

Die Mietergemeinschaft verwaltet das Haus selbst. Sie sammelt die Mieten ein, entscheidet über Renovierungen und verfügt über einen Sozialfonds. Mitglieder der Hausgemeinschaft sind nach wie vor in der Mieterbewegung aktiv. Ab und zu gibt das Wohnprojekt politische Statements ab. Als die Nato gegen Jugoslawien Krieg führte, hängten die Bewohner ein Transparent an die Fassade: „Nie wieder Krieg? Bombensicher“.

Vetter gehört zu denen, die sich den Mietvertrag ausgedacht haben, der es ermöglicht hat, neun Kündigungswellen und die dazugehörenden Räumungsklagen abzuwehren. Dem Vertrag zufolge betimmt die Mietergruppe, wer ins Haus einzieht. Die Mieten sind an die des sozialen Wohnungsbaus gekoppelt. Den Vertrag haben alle Mieter zusammen unterschrieben, so dass er ihnen auch nur zusammen gekündigt werden kann.

Gerade daraus versuchen einige Eigentümer den Mietern jetzt einen Strick zu drehen: Die Mietergemeinschaft sei als gewerblicher Zwischenmieter anzusehen, der die Wohnungen an die einzelnen Parteien weitervermietet habe. Ein gewerbliches Mietverhältnis könne ohne Begründung gekündigt werden.

Das Landgericht sah das anders. Mit dem Hinweis, es handele sich um ein Wohnmietverhältnis, erklärte es die Kündigungsklage für unzulässig. Ein Erfolg der Mieter, gegen den die Wohnungseigentümer beim Oberlandesgericht (OLG) in Berufung gingen. „Es geht jetzt um die Wurst“, sagt Vetter. Nur der Bundesgerichtshof könnte die Entscheidung des OLG revidieren.

Für den Fall, dass das OLG den Argumenten der Vermieter folgt, hat Vetter einen weiteren Trumpf in der Hand. Im Mietvertrag von 1975 ließ er festschreiben, dass für die Mietergemeinschaft die gleichen Schutzrechte gelten sollen wie für die einzelnen Bewohner.

Dass es überhaupt zu der jetzt betriebenen Kündigung kommen konnte, ist dem kuriosen Umstand zuzuschreiben, dass einige Bewohner des Hauses gerichtlich gezwungen wurden, gegen sich selbst zu klagen. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden. Mit Bauchschmerzen entschied das Mieterplenum, dass die Gelegenheit genutzt werden sollte, Wohnungen zu kaufen. Einzelne Mieter wurden damit Eigentümer. „Alle Eigentümer sind Teil der Mietergruppe“, sagt Vetter. „Die Mietergruppe entscheidet.“

Die Besitzer der Eigentumswohnungen hatten damit U-Boote in ihren Reihen, die aus allen Rohren gegen eine Kündigung des Gesamtmietvertrages schossen. Die Kündigung bedarf eines einstimmigen Beschlusses der Vermieterschaft, den die Mitglieder des Wohnprojektes verhinderten. Dagegen gingen die übrigen Vermieter erfolgreich vor: Wegen der Treuepflicht der Eigentümer untereinander ersetzte die Justiz die fehlenden Ja-Stimmen durch eine gerichtliche Zustimmung. „Ich klage gegen mich selbst“, sagt Vetter, dem eine Wohung gehört, und der zugleich den Gesamtmietvertrag unterschrieben hat.