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Archiv-Artikel

Mehr Experimente wagen

Der Streit über die Deutschpflicht an einer Weddinger Schule gewinnt an Differenziertheit. Er zeigt, dass die so genannte Migranten-Community längst vielfältiger ist, als sie wahrgenommen wird

Von Alke Wierth

Der Streit über die Deutschpflicht an einer Weddinger Schule wird differenzierter. Eine Woche nach deren Bekanntwerden mehren sich die Stimmen, die zur genaueren Analyse der Sprachregelung mahnen. Die ablehnende Haltung des Türkischen Bundes Berlin (TBB) wird dabei längst nicht von allen Migranten geteilt.

Er könne mit einer Deutschpflicht wie der an der Herbert-Hoover-Schule gut leben, sagt etwa Ilkin Özisik, Vorsitzender des Vereins Türkischer Sozialdemokraten in Berlin (TSD) und Mitglied im Integrationsbeirat des Senats. „Wenn es mit allen Beteiligten abgesprochen ist, dann macht so was Sinn“, meint der 33-Jährige, der in Berlin geboren und „stolz darauf“ ist.

Auch Sanem Kleff, Leiterin des Projekts „Schule ohne Rassismus“, rät zu Besonnenheit. Pädagogisch hält sie von einer Pflicht zum Deutschreden während der Unterrichtspausen gar nichts. „Es hat keinen Lerneffekt, wenn sich schlecht Deutsch sprechende Schüler miteinander unterhalten.“ Aber Schulen brauchten den Freiraum, solche Regelungen auszuprobieren. „Man muss experimentieren dürfen.“

Die Herbert-Hoover-Schule im Wedding, eine Realschule mit dem Unterrichtsschwerpunkt Deutsch und einem 80-prozentigen Anteil von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunft, hat seit März 2005 eine Deutschpflicht in ihrer Hausordnung stehen. Auch in den Pausen oder bei Klassenfahrten sollen die Schüler nur Deutsch miteinander reden. Die Regel geht auf einen Beschluss der Schulversammlung zurück, der neben Lehrern auch Vertreter von Schülern und Eltern angehören.

Strafen für die Nichteinhaltung des Gebots gibt es nicht: „Die Lehrer erinnern uns daran, wenn wir andere Sprachen sprechen“, sagen die Schülersprecher der Realschule. Sie befürworten die Regel nach wie vor: „Unser Deutsch ist besser geworden.“

Scharfe Kritik an der Deutschpflicht üben vor allem türkische Verbände und Vereine. Um die pädagogische Seite geht es dabei nur am Rande. Eine „negative Besetzung von Vielfalt“ sieht Eren Ünsal, die TBB-Sprecherin, in der Schulregel. „Nationalistisch“ sei ein solches „Sprachverbot“, meint Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD). Den türkischen Migranten würde der Eindruck vermittelt, man akzeptiere ihre Kultur und Sprache nicht.

Dass viele der Eltern und Schüler, die über die Deutschpflicht an der Hoover-Realschule mit abgestimmt haben, selbst nichtdeutscher, auch türkischer Herkunft sind, bleibt dabei außen vor. Stattdessen folgen diese Argumente alten Trennlinien zwischen einer diskriminierenden Mehrheit und den entrechteten Ausländern.

Auch der Einwand, den Meral Dollnick gegen die Deutschpflicht ins Feld führt, entlarvt ein altmodisches Denkmuster: Es sei sehr anstrengend für Kinder und Jugendliche, den ganzen Tag eine „fremde Sprache“ zu sprechen, sagt die Vorsitzende der Vereinigung Türkischer LehrerInnen und ErzieherInnen.

Viele Zuwanderer denken da längst anders: Er habe zwei Muttersprachen, sagt der Sozialdemokrat Ilkin Özisik. Auch Abit Kazci, Vater eines achtjährigen Sohnes, fände es am besten, wenn der zweisprachig aufwüchse. „Aber im Zweifelsfalle würde ich dem Deutschen den Vorrang geben“, sagt der aus der Türkei stammende Arzt. „Wenn die Kinder nicht richtig Deutsch lernen, haben sie beruflich hier keine Chance.“ Eine Verpflichtung zum Deutschreden könne er deshalb akzeptieren, zumindest „an bestimmten Schulen“. In der früheren Kita seines Sohnes hat er einen solchen Vorschlag allerdings abgelehnt: „Dort gab es nur zwei nichtdeutsche Kinder.“

Auch Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, kann mit der Deutschpflicht leben; sie sei schließlich eine Vereinbarung, kein Zwang. „Wir wollen doch alle, dass die Kinder gut Deutsch lernen.“ Die ablehnende Haltung türkischer Verbände versteht er nicht: „Sie sollten sich mehr mit dem Muslim-Test in Baden-Württemberg beschäftigen.“ Das sei wichtiger.