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Archiv-Artikel

Mister Kohler

Unter seinem neuen Trainer gelingt dem MSV Duisburg beim VfB Stuttgart der erste Auswärtssieg der Saison

STUTTGART taz ■ Der Trainer und sein Verteidiger drückten ihren Wangen aneinander und küssten sich brüderlich. In dem Moment war Jürgen Kohler wieder Spieler Giovanni Trapattonis. Das bleibt ein jeder sein Leben lang, der einmal mit dem „Mister“ zusammen arbeitete. Ein Hauch von Nostalgie umwehte die beiden als sie auf dem Podium im Gottlieb-Daimler-Stadion standen. Drei Jahre hatten sie von 1991 bis 1994 zusammen bei Juventus Turin Dienst getan, Trapattoni als Meister taktischer Kniffe mit defensiver Note und Kohler als unerbittlicher Abwehrrecke, der beim Uefa-Cup-Sieg 1993 den Strafraum sauber hielt. In diesem Augenblick in Stuttgart spielte es keine Rolle, dass der Weltmeister von 1990 gerade in seinem ersten Spiel als Cheftrainer des MSV Duisburg den ersten Sieg errungen hatte.

Traps „Schüler“ sprechen stets voller Erfurcht von ihrem Lehrmeister, auch wenn der wie jetzt, in gewissen Schwierigkeiten steckt. So entdeckte auch Kohler nach dem 1:0-Erfolg des MSV vor 31.000 Zuschauer die aufmunternde Gewissheit, Trapattoni werde seine Ziele erreichen. „Er ist ein großer Trainer und eine Persönlichkeit“, sagte er.

Es muss Trapattoni in mancher Szene während der bescheidenen 90 Minuten leidvoll aufgegangen sein, wie gut Kohler bei seinen Lehrstunden zugehört hatte. Duisburg konterte zuweilen, mehr sporadisch als geplant, verwendete die meiste Energie darauf, die Außenbahnen zu verrammeln und mit zehn Mann der Verteidigung des eigenen Territoriums zu frönen.

Nur dies eine Mal waren sie da. Marco Caligiuri schoss seinen neuen Verein mit dem 1:0 (43.) gekonnt in Führung. Der VfB Stuttgart hatte diesen erst vor wenigen Tagen bis Juni 2007 an Duisburg ausgeliehen. Kohler dürfte wenig Mitleid empfunden haben, abgesehen von Trapattonis neuen Nöten, die bei Licht betrachtet alt bekannte sind. Weder mit dem Dänen Jon Dahl Tomasson, der beste Möglichkeiten im Akkord vergab, noch mit Hitzlsperger und Ljuboja. Auch nicht mit Mario Gomez, der akzeptieren musste, dass Schiedsrichter Peter Gagelmann seinen Treffer wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung des mitgelaufenen Ljuboja nicht anerkannte (60.).

Vor zwei Jahren stand Kohler vor der Unterschrift als Cheftrainer des VfB, der jedoch die Verhandlungen abbrach und Kohlers ständige Nachforderungen als Grund für das Scheitern anführte. Er sei froh, statt Kohler Matthias Sammer verpflichtet zu haben, soll VfB-Präsident Erwin Staudt gestichelt haben. Am Samstag jedenfalls zog es Staudt vor, im Hintergrund zu bleiben. Stattdessen schickte er seinen neuen Sportmanager Horst Heldt in die Bütt. Der krittelte wie Trapattoni an Gagelmann herum und mahnte den Weltverband Fifa, eine für alle Schiedsrichter einheitliche Lösung für „Fälle von passivem Abseits“ zu präsentieren.

Das Übergewicht der Schwaben an aussichtsreichen Chancen stellt sich in der Gesamtbilanz als geradezu erdrückend dar. Umso mehr kommt die erste Liga-Niederlage seit September 2005 (1:2 gegen den HSV) einem herben Rückschlag gleich. In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten hatte Trapattoni vom „Traum“ gesprochen, doch noch die Champions League zu erreichen. Staudt hatte von einer überaus zufrieden stellenden Vorbereitung erzählt und von kommenden Erfolgen geschwärmt. Beide klangen im Vorfeld so, als könne nun trotz einer eher enttäuschenden Vorrunde nichts mehr schief gehen.

„Wenn man 20 Jahre Profifußball hinter sich hat, kann man Siege und Niederlagen richtig einordnen. Die Mannschaft hat ein Lob verdient, aber zu Jubelgesängen besteht kein Anlass“, sagte Kohler nach dem ersten Auswärtssieg der Saison. „Es war eine neue Erfahrung für mich, aber wir bereiten uns jetzt auf das Spiel gegen Kaiserslautern vor.“ Nicht einmal jetzt wollte Kohler lächeln. In Stuttgart war er von zu viel Ernüchterung umgeben. „Wir hatten nicht mehr das Gefühl der Unbezwingbarkeit wie am Ende der Vorrunde“, sagte Hitzlsperger. Und VfB-Manager Heldt meinte: „Ich hatte nicht bei allen das Gefühl, dass sie sich gegen die Niederlage gewehrt haben.“ OLIVER TRUST