: Rote Zahlen bei ökologischer Buchhaltung
KONSUM Die Menschheit verbraucht mehr Ressourcen, als die Welt regenerieren kann. Der sogenannte Earth Overshoot Day rückt in fast jedem Jahr weiter vor
VON OLE SCHULZ
Fast jedes fünfte amerikanische Baby unter einem Jahr hat heute bereits einen eigenen Fernseher in seinem Zimmer, während Kinder in Großbritannien mehr Pokémon-Figuren mit Namen benennen können als geläufige Tier- und Pflanzenarten.
Im Bericht „State of the World 2010“ des Worldwatch Institute analysieren 50 Autoren nicht nur unsere derzeitige Konsumkultur, sondern auch wie sich diese in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln ließe. Denn noch folgt der Nachwuchs jenen Konsummustern, die ihm ihre Eltern vorleben.
Laut Worldwatch Institute hat der private Konsum seit 1996 weltweit um mehr als ein Viertel zugenommen, ein durchschnittlicher Europäer verbraucht mittlerweile täglich 43 Kilogramm Materialien wie Energie, Lebensmittel oder Metalle, ein US-Amerikaner bringt es sogar auf mehr als doppelt so viel.
Erik Assadourian, Hauptautor der Studie zur „Lage der Welt“, macht in seinem Beitrag deutlich, dass die Politik angesichts des Verlusts an Biodiversität, schrumpfenden Wäldern oder des Klimawandels die Probleme allein nicht wird lösen können. Auch das Konsumverhalten eines jedes Einzelnen müsse sich ändern, weil längst mehr Ressourcen verbraucht werden, als wieder nachgebildet werden können. Laut Assadourian war es im Jahr 1987, als der ökologische Fußabdruck der Menschheit die Regenerierungsfähigkeit der Erde zum ersten Mal überschritten hat.
Mit dem Ansatz des ökologische Fußabdrucks folgt Assadourian einem Konzept, das vom gemeinnützigen „Global Footprint Network“ entwickelt wurde, den Anfang machten dabei Mathis Wackernagel und William Rees, zwei Wissenschaftler der University of British Columbia, Anfang der 90er-Jahre.
Mittlerweile ist das Konzept des „Ecological Footprints“ ein weltweit anerkanntes Verfahren geworden, um den Verbrauch von natürlichen Ressourcen zu messen. Im Jahr 2006 wurden auch internationale Standards definiert, die es bei Berechnungen einzuhalten gilt.
Unstrittig ist, dass angesichts des heutigen Konsumniveaus die Erde nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der Menschheit zu stillen. Würden alle Menschen einen Lebensstil wie die Deutschen pflegen, würden sie laut „Global Footprint Network“ im Jahr doppelt so viele natürliche Ressourcen verbrauchen, wie die Erde wieder nachproduzieren könnte. Würden sie wie die Amerikaner leben, dann verbrauchten sie im Jahr sogar fünfmal so viel.
Den Tag im Jahr, ab dem wir über unsere Verhältnisse leben, hat das Netzwerk „Earth Overshoot Day“ getauft – ins Deutsche übersetzt etwa „Weltüberschreitungstag“. Nach den Berechnungen des „Global Footprint Network“ war im Vorjahr der 25. September jener Tag, ab dem wir nur noch Raubbau an unserem Planeten betrieben haben.
Hinter der Idee des ökologischen Fußabdrucks steht eine ausgetüftelte Methodologie, eine Art „Buchhaltungssystem für unsere natürlichen Ressourcen“, erklärt Martin Kärcher vom Schweizer Büro der Organisation. Grundlage ist vor allem Datenmaterial, das von verschiedenen UNO-Organisationen bereitgestellt wird. „Der Fußabdruck misst den Verbrauch an Ressourcen, ausgedrückt in globalen Hektar als Maßeinheit“, so Kärcher. Zu diesem „Footprint“ gehört der private Konsum ebenso wie die Freisetzung klimaschädlichen Kohlendioxids.
Dem ökologischen Fußabdruck wird die sogenannte Biokapazität entgegengesetzt. Diese meint die Erträge der produktiven Landflächen sowie der wirtschaftlich genutzten Meeresflächen, zu denen zudem die Fähigkeit der Ökosysteme hinzugerechnet wird, Kohlendioxid zu absorbieren. In der Gesamtrechnung gibt es laut Kärcher ein klares Defizit: „Seit nun schon über 20 Jahren befinden wir uns in einem weltweiten ökologischen Overshoot.“ Das bedeute, dass „die Menschheit in einem Jahr deutlich mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als die Erde in diesem Zeitraum regenerieren kann“.
Kärcher räumt ein, dass dabei das verwendete Datenmaterial zum Teil noch „ungenau“ sei, die Berechnungen insgesamt aber „konservativ“ seien und außerdem an einer stetigen Verbesserung von Daten und Methodologie gearbeitet werde.
Ungeachtet aller Fragen zu Zahlen und Methoden steht für das „Global Footprint Network“ eins aber schon jetzt fest: Aufgrund der Knappheit an Ressourcen werden sich die Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu heute verschieben. Länder und Regionen mit Ressourcenreserven werden es künftig einfacher haben, wettbewerbsfähig zu sein, während „ökologische Schuldnerländer“, zu denen die meisten der großen Industrienationen gehören, durch ressourcenbedingte Kostenfaktoren gebremst werden.
Gleichwohl sei der ökologische Fingerabdruck kein „Moralsystem“, sondern lediglich ein „System ökologischer Buchhaltung“, sagt Kärcher. Es gehe dabei weniger um Fragen wie „Schuld und Sühne“, sondern angesichts begrenzter Ressourcen um Strategien zur Risikobewältigung. Und dafür sei der „Ecological Footprint“ ein geeignetes Instrument.
Wann genau wir nun 2010 den „Earth Overshoot Day“ erreichen werden, wird erst nach den Sommermonaten feststehen. Im Vorjahr wurde er jedenfalls einen Tag später als 2008 erreicht. Denn wegen der Finanzkrise war der Konsum eingebrochen und damit die Biokapazität der Erde relativ gestärkt worden – auch wenn das global betrachtet nur einen Zeitaufschub von 24 Stunden einbrachte.
■ Weitere Infos: www.footprintnetwork.org und www.worldwatch.org