„Mir fehlt die inhaltliche Debatte“

Derzeit bestehe die Chance, ein neues Profil für das Bethanien zu entwickeln, sagt Leonie Baumann von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Sie zeigt Verständnis für die Künstler, die sich gegen die Besetzung zur Wehr setzen

taz: Frau Baumann, können Sie die Aufregung um die Besetzer im Kunsthaus Bethanien nachvollziehen?

Leonie Baumann: Die ansässigen Institutionen bemühen sich schon seit vielen Jahren um ein schlüssiges Gesamtkonzept. Nun wäre zum ersten Mal die Chance gegeben, diesem Ziel näher zu kommen. Die Besetzer, die mehr oder weniger zufällig im Bethanien gelandet sind, sollen nun die Weichenstellung für künftige Konzepte bilden? Dass die gegenwärtigen Nutzer nicht begeistert sind, kann ich verstehen.

Aber übertreiben die Künstler nicht, wenn sie jetzt um den Ruf des gesamten Hauses fürchten?

Es gibt im Moment die einmalige Möglichkeit, ein neues Profil für das Gebäude zu entwickeln, mit einer eindeutigen Ausrichtung auf zeitgenössische Kunst. Das ist doch ein legitimes Anliegen und ein von mir befürwortetes Ziel – zumal es in Kreuzberg bereits viele andere soziokulturelle Einrichtungen gibt. Deren Arbeit müsste abgrenzend oder ergänzend in die Profilfindung für das Künstlerhaus Bethanien einbezogen werden. Teilweise sind die bestehenden Einrichtungen sogar existenziell bedroht, so dass jede Form von neuer Konkurrenz keinen Sinn macht.

Verstehe ich Sie richtig: Auch Sie sprechen sich gegen die Besetzer aus?

Ich spreche mich nicht für oder gegen die Hausbesetzer aus. Mir fehlt die fundierte inhaltliche Debatte über Zukunftsideen.

Der Teil, den die Besetzer im Moment nutzen, stand jahrelang leer. Das Gebäude ist groß genug. Wieso kann es dort eigentlich keine friedliche Koexistenz geben?

Die zentrale Frage lautet: Wie kann ein Konzept langfristig funktionieren? Zudem muss es sich langfristig finanziell selbst tragen. Es macht überhaupt keinen Sinn, nur zu sammeln, was man sich alles vorstellen könnte. Davon hat die Stadt genug. Es fehlt das ergänzende Profil zum Bestehenden und das Neue für die künftige Sicherung des Standorts.

Hätte es in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten nicht die Hausbesetzer und andere soziokulturelle Initiativen gegeben, wäre die Kreuzberger Kunstszene nicht das, was sie jetzt ist.

Das stimmt – und zwar für die Gesamtatmosphäre des Stadtteils. Gerade deswegen müsste eine Debatte jenseits von Zufälligkeiten etwas Neues entwerfen: ein Haus mit einem klaren zeitgenössischen Kunstprofil. Jetzt lautet die Frage, was die Beteiligten inhaltlich dauerhaft wollen. Darüber muss man diskutieren. Es kann gut sein, dass sich alles zusammenfügt.

Wieso machen die Künstler im Bethanien überhaupt den Gegensatz zwischen Hoch- und Soziokultur auf?

Diese Trennung wird von vielen heraufbeschworen und entspricht weder meinen Vorstellungen von zeitgenössischer Kunst noch von Sozialem. In Zukunft werden viele Anstöße für soziale Probleme sicherlich von der Kunst ausgehen.

Was raten Sie den Beteiligten?

Auf jeden Fall muss dafür gesorgt werden, dass die Nutzer mit ihren ernsthaften Sorgen bei allen Gesprächen beteiligt sind. Das ist leider nicht der Fall. Ich finde es katastrophal, wenn alle denken, ein visionäres Zukunftskonzept für das Bethanien könne man mal nebenbei aus dem Ärmel schütteln. Kontakt zu internationalen ähnlichen Einrichtungen zum Zweck des Erfahrungsaustauschs halte ich für unabdingbar. Das Bethanien ist ein tolles Haus mit einer langen Tradition. Ich habe Verständnis, dass es Angst vor einer erweiterten Volkshochschule gibt.

INTERVIEW: FELIX LEE