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Archiv-Artikel

Das Grauen des Glanzes

In der größten Autowaschanlage Europas: „Mr. Wash“. Eine Wahrheit-Reportage

FRANKFURT AM MAIN taz ■ Die Deutschen und das Auto – ein Thema, das es zu entdecken gilt. Ein Thema wie ein heißes Eisen, wie ein feuchtes Tuch, wie eine eingerostete Radmutter. Nicht Spiegel, nicht Stern, nicht Focus haben es bisher gewagt, sich dieser brisanten Angelegenheit zu stellen, geschweige denn zu widmen. Also packen wir’s an, einer muss es ja tun.

Kein Ort der Welt könnte geeigneter sein, um sich dem hypermodernen Alltagsmythos par excellence und schlechthin zu nähern, als die berüchtigte Finanzkapitale Frankfurt am Main. Rüsselsheim (Opel) ist nicht weit, Wolfsburg (VW) im Grunde auch nicht, und nach Detroit gibt es Verbindungen. Zudem organisiert sich die internationale Hauptstadt des legalen Verbrechens (Deutsche Bank) notabene um zwei schnurgerade Verkehrsachsen herum: um die Mainzer Landstraße und, welch Einfallsreichtum der Stadtväter!, die Hanauer Landstraße.

An letzterer, kurz hinter einem Kreisel, der den Weg freigäbe in Richtung Offenbach, wo gleichfalls einiges zu holen wäre, reckt ein unglaubliches Gebäudefaszinosum seine gelben Röhren, die einem anthrazitfarbenen, mit Metallblenden verkleideten Kubus entspringen, in den Himmel – die von der Zeitschrift Auto Bild zum „Putz-Palast“ ernannte „Autowasch-Fabrik für Pkw“, das riesige „Mr. Wash“, die größte Waschanlage Europas.

Der Himmel, matt blubbernd wie ein von Gott schon mal gegessener Griesbrei, könnte auch eine gründliche Politur gebrauchen, aber im „Paradies für Saubermänner“ (Auto Bild) richtet sich der Blick zu Boden, auf die Gummischlappen und Radkappen dieses Kontinents, oder er schweift auf Autodachhöhe über blitzende Oberflächen. „Gratis Staubsaugen“ annonciert das dreimannsgroße schwefelgelbe Schild an der Einfahrt, und auf etwa hundert Saugplätzen rund um die vierspurige Waschanlage und den „Mr. Wash Benzin-Bahnhof“ faucht es aus den an meterlangen blauen Schläuchen festgeschraubten Düsen, als starte in Kürze eine Fliegerstaffel. Die Menschen, die gebückten, diese sich in die hintersten Ritzen ihrer Karossen quetschenden Lemuren, sie schweigen. Spricht mal einer, zitiert ihn Auto Bild: „Für mich ist das ein Hobby, sozusagen mein zweites Ich“, sagt ein Senior, der dreimal pro Woche das weitläufige Servicegelände aufsucht.

Es sind hier schon Rentnerehepaare beobachtet worden, die Winterreifen waschen oder ihren Tankdeckel von innen wienern, und eine ARD-Reportage berichtete von diesen Existenzen: „Da ist der Amerikaner Mike, der in seinen alten Mitsubishi seit zwölf Jahren so verliebt ist, dass er ihm täglich einmal das teuerste Waschprogramm spendiert und dafür lieber auf eine Freundin verzichtet. Gleich daneben ein Herr aus Frankfurt, der seit neun Jahren mit einer Thailänderin verheiratet ist. Seine Frau hat er erfolgreich angelernt, sagt er. Er lasse sie nur an die schwarzen Teile aus Vinyl. „Der Lack ist Chefsache.“

Man macht sich keinen Begriff von diesem Land, wenn man nicht wenigstens einmal bei „Mr. Wash“ in der Hanauer Landstraße 419 gewesen ist. Ein Ehegespann mittleren Alters feilt gerade Stoßstangen und Motorhaube eines silbernen BMWs mit Wattestäbchen nach in der „Innenreinigungs-Halle“ mit ihren zwölf exklusiven Staubsaugern. Draußen dreschen derweil bemützte Gestalten mit ihrer exquisiten Pkw-Auslegeware auf die an jeder Ecke aufgestellten „Mattenklopfer“ ein. Fliegt man eigentlich vom Hof, wenn man keine Matten hat, die man klopfen kann?

400 Wagen schafft die Waschstraße pro Stunde. Über der gesamten Breite der Zufahrt zum Paradies prangt ein beleuchtetes Triptychon. Programm Nummer drei verspricht in Anführungszeichen einfach alles, nämlich „‚Alles‘“: Heißwachs, reichlich Pflegeschaum, Felgen-Spezialreinigung, Osmosedusche und Heißlufttrocknung. Drei Männer mit Ohrenschutz besorgen’s der Karre – zumal an ihren „bekannten Problemzonen“ („Mr. Wash“) – vorab derart erschöpfend, dass es einer weiteren Folter mit 90 Litern heißem Wasser, Shampooinferno und einem 90 kW starken Gebläse, das aus elf Kanälen powert und an die Innenarchitektur des Raumschiffs Nostromo aus „Alien“ gemahnt, im Grunde nicht mehr bedürfte. Es rumpelt, es mieft, es fönt, und nach 90 Sekunden ist die Show vorbei.

Nur wer der Realität des Autowaschens einen ungeschützten Blick ins Auge wirft, vermag zu ermessen, dass aus dem Schlund der deutschen Wirklichkeit das Grauen des Glanzes hervorkriecht – montags bis samstags, zwischen 8 und 18 Uhr. Wem das nicht reicht, der kann ja 24 Stunden am Tag tanken. Bei „Mr. Wash“, in Frankfurt am Main, dort, wo die Autowäsche preis- und preisenswerter als sonst wo ist und ein „Alkoholtuch“ am Automaten exakt einen europäischen Euro kostet. Mit dem gebe ich mir jetzt den Rest.

JÜRGEN ROTH