Freundschaft bis zum Schluss

NSU-PROZESS Der mitangeklagte Holger G. verliest vor dem Münchner Oberlandesgericht seine Erklärung

„Wir wollten politisch etwas bewegen“

HOLGER G., ANGEKLAGTER IM NSU-PROZESS

Die Freunde brachten Kuchen mit. Für das Treffen mit Holger G. hatte Beate Zschäpe extra das Mitbringsel gebacken. Holger G. schwärmte vor dem Landgericht München von den Treffen mit dem NSU-Trio. Liebe langjährige Freunde seien das gewesen, jedenfalls bis zum Auffliegen der Mordserie. „Die Dimension der Verbrechen war mir nicht bekannt“, las der 39-jährige G. aus seiner Erklärung vor.

Diese vorbereitete Erklärung vorzutragen, fiel dem Mitangeklagten Holger G. aus Lauenau nahe Hannover am Donnerstagvormittag schwer. „Ruhig, langsamer“ stoppt der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, ihn. Doch G. will sagen, dass er nicht wusste, dass mit seinem Führerschein wohl die Wohnmobile für die Morde und Banküberfälle gemietet wurden. Aber vor allem will er erzählen, dass er mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe lange befreundet war. In der Kameradschaft Jena hatten sie sich kennengelernt. „Wir wollten politisch etwas bewegen“, sagte G., „nicht bloß Rechtsrock hören und Bier saufen.“ Das Trio hielt ihm sogar die Treue, als er bei der Polizei einen Kameraden verriet. Und als ein Kamerad ihm 1998 sagte, dass das Trio Hilfe brauche, war für ihn klar: Freunde lässt man nicht hängen.

Dass die drei in den Untergrund gingen, fand G. „hart“, wie er vor Gericht sagte. Aber um so mehr sei klar gewesen, dass er die Freunde jetzt erst recht nicht hängen lassen würde, er half unter anderen mit Pässen und einer Krankenkassenkarte „für Beate“. Einmal im Jahr trafen sie sich. Untergrund, Illegalität, das wollte er richtigstellen, bedeute nicht, sich im Geheimen zu treffen. In der Region Hannover waren sie zu viert unterwegs, in Restaurants zum Essen, oder gingen Billard spielen. „DieserTreffen waren normal“, sagt Holger G. Als er den Dreien erzählte, dass er nicht mehr „aktiv“ in der Szene sei, regte sie das nicht auf. Vor diesem Geständnis hatte er Sorge, dass ihre Freundschaft enden würde, doch die hielt.

Erst am 19. Mai 2011 wurde er unsicher. Die alten Freunde standen überraschend vor der Tür, da sie wieder für Böhnhardt einen Reisepass haben wollten. Dabei hatte er schon einmal vor zehn Jahren geholfen, da sich G. und Böhnhardt ähnlich sehen. Auf dem Passamt beantragte er in Begleitung von Zschäpe einen Reisepass. Der wurde pünktlich abgeholt, sagte Holger G.

Nach der Erklärung wirkte G. erleichtert. Er erklärte, nicht mehr ein Teil der rechten Szene zu sein, er habe jedoch noch Kontakte und ginge gelegentlich zu Events. „Sind halt einfach Freunde“, sagte er.  ANDREAS SPEIT