piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Niedersachsen-Denkmal wackelt

AUFARBEITUNG Eine Dissertation macht erneut auf die Verstrickungen von Niedersachsens erstem Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) während der NS-Zeit aufmerksam

Mehr als 50 Jahre nach dem Tod des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) hat eine Historikerin schwere Vorwürfe zu dessen NS-Vergangenheit erhoben.

In ihrer gestern vorgestellten Dissertation erklärt die Göttinger Wissenschaftlerin Teresa Nentwig, der 1961 gestorbene Politiker habe von der Enteignung der jüdischen Polen während der deutschen Besatzung Polens von 1939 bis 1944 profitiert. Kopf sei als Mitarbeiter einer nationalsozialistischen Behörde an der Verwertung des Vermögens der verfolgten und ermordeten Juden beteiligt gewesen.

Neben Kopfs „herausragenden Verdiensten“ bei der Gründung des Landes gebe es „deutliche Risse“ in dessen Denkmal, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei der Vorstellung des Buches. Er forderte – auch in der SPD – eine neue kritische und öffentliche Debatte über das Lebenswerk. Dies müsse auch im Hinblick auf die nach Kopf benannten Schulen und Straßen erfolgen. So trägt etwa in Hannover der Platz vor dem Landtag Kopfs Namen.

Eben das hatte in der vergangenen Legislaturperiode schon die Linksfraktion im Landtag gefordert. 2012 hatte der Landtag als erstes Landesparlament überhaupt eine eigens in Auftrag gegebene Studie zur NS-Vergangenheit der niedersächsischen Nachkriegsabgeordneten vorgestellt: Jeder Dritte war demnach NSDAP-, SA- oder SS-Mitglied. Auch auf Kopfs Rolle bei der Enteignung jüdischer Polen wies die Studie bereits hin.

„Es besteht offenbar kein Zweifel mehr daran, dass Hinrich Wilhelm Kopf sich in den Diensten des verbrecherischen NS-Regimes schuldig gemacht hat“, sagt die Landtagsvizepräsidentin Gabriele Andretta. Es sei sicher, dass Kopf den Landtag und die Öffentlichkeit nach dem Krieg über seine Arbeit während der NS-Zeit belogen habe, sagte SPD-Fraktionschefin Johanne Modder.

Kopf war von 1946 bis 1955 und von 1959 bis 1961 Regierungschef. Seine Rolle während der deutschen Besatzungszeit in Polen und seine Verantwortung für Verbrechen im Nationalsozialismus waren lange unklar.  (taz/dpa)