Beethovens Geist im Kongo

FILME AUS KINSHASA Bedrückend und begeisternd: Die Dokumentarfilme „Congo In Four Acts“ und „Kinshasa Symphony“ zeigen ein kaputtes Land und ein Symphonieorchester im Slum

Deutsche Abschottung: Dem Konzertmeister Héritier, der endlich die Berliner Philharmoniker live erleben wollte, und der Flötistin Nathalie, ganz groß auf dem Filmplakat zu „Kinshasa Symphony“ zu sehen, hat die deutsche Botschaft im Kongo die Visa verweigert

VON DOMINIC JOHNSON

Wie lebt es sich eigentlich in der Demokratischen Republik Kongo, einem von Diktatur und Krieg verwüsteten Land, in dem himmelschreiende Armut und brutaler Willkür herrscht? Der Alltag der 60 Millionen Einwohner kann ja nicht ausschließlich aus Massenvergewaltigungen und Flüchtlingselend bestehen. Was katastrophenfixierte Medien meist nicht berichten können, leisten jetzt zwei außergewöhnliche Dokumentarfilme auf der Berlinale, die zusammen ein Tableau des kongolesischen Überlebenswillens liefern. „Congo In Four Acts“ erzählt Facetten des Alltags; „Kinshasa Symphony“ berichtet, wie man diesen Alltag überwinden kann. Wer verstehen will, woraus Afrika heute seine Kraft bezieht und gegen was diese Kraft sich behaupten muss, sollte diese Filme sehen.

„Congo In Four Acts“ enthält vier Kurzgeschichten, die nicht so sehr erzählt als einfach beobachtet werden und damit unmittelbar beeindrucken. In der Geburtsstation der Klinik von Kintambo, ein Stadtteil der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa, streiten sich die Mütter und das Personal: Warum macht niemand die Toiletten sauber? Wir können nur saubermachen, wenn ihr eure Rechnungen bezahlt! Wie sollen wir bezahlen, wenn wir nicht rausdürfen? Ihr könnt nicht raus, bevor ihr nicht bezahlt habt! Eine Frau wird aufgefordert, ihr Kleid dazulassen, weil ihr rund 4 Euro an der Rechnung von 28 Euro fehlen. Ein Mann diskutiert mit der Sekretärin über ein gepfändetes und verschwundenes Handy. Der Stationsdirektor bezweifelt, dass die Patientin vor ihm vergewaltigt worden ist. Gerade weil das alles unkommentiert bleibt, wird schlagartig das kongolesische Elend deutlich, die Niedertracht eines Alltags, in dem kaputte und mittellose Menschen sich damit aufreiben, um Brosamen vom Tisch eines reichen Landes zu streiten. Beeindruckend auch die alleinerziehende Mutter in der Bergbaustadt Kipushi, die mit ihrem Kleinkind vom Steineklopfen lebt; die Babys arbeiten mit Steinen, bevor sie laufen können, aber am Schluss reicht es nicht, um sich zu ernähren. Eigentlich sind es Geschichten der Hoffnungslosigkeit, aber sie hinterlassen einen anderen Eindruck: eine übermenschliche Ausdauer von Menschen, denen das Leben in jeder Hinsicht schwergemacht wird.

„Kinshasa Symphony“ ist dazu die unverzichtbare, weil aus dem Elend hinausführende Ergänzung. Tief im Slum in Kongos labyrinthartiger Hauptstadt hält sich unter Führung einer lokalen Kirche trotz aller Widrigkeiten ein Symphonieorchester. Das Orchestre Symphonique Kimbanguiste (OSK) meistert voller Hingabe die Großen der klassischen Musik, von Händel bis Carl Orff. Alle Musiker sind Amateure und gehen normalen Berufen nach. Der ständige Wechsel zwischen dem drögen Alltag und der surrealen Flucht in die Kunst gibt diesem Film eine bemerkenswerte, befreiende Note. Der Friseur steht auf der Straße vor einer Baustelle und übt Geige. Ein Arbeiter repariert hoch oben auf einem Strommast ein Kabel und singt dazu hinreißenden Countertenor. Ein Instrumentenbauer trägt einen halbfertigen Kontrabass aus kongolesischem Afromosia-Edelholz über eine Behelfsbrücke im Sumpf. Der Dirigent erzählt, wie Bremsschläuche kaputte Saiten ersetzen und Autofelgen Schlagzeuge. Kichernde Chormädchen lernen den deutschen Text von Beethovens „Ode an die Freude“.

Die Musik entsteht praktisch aus dem Nichts, und gerade dadurch begeistert sie mit einer einmaligen Intensität. Sie ist der Ausbruch aus dem Trott, der lebende Beweis, dass Europas klassischer Musikkanon tatsächlich Weltkultur ist. „Bei der Arbeit mit der Musik gibt es keine Grenzen“, sagt der lispelnde Konzertmeister Héritier. „Es ist wie eine Treppe, man steigt und steigt.“ Die Musik ermöglicht das, was Kongolesen ansonsten verwehrt ist: Anschluss finden; mitspielen, im wahrsten Sinne des Wortes. Spätestens wenn beim Konzert „O Fortuna“ aus Carl Orffs Kantate „Carmina Burana“ in den tropischen Nachthimmel von Kinshasa aufsteigt, ist klar, welch subversive kulturelle Sprengkraft in dieser Leistung steckt.

Auf Kongos kulturelle Offenheit antwortet Deutschland zu seiner Schande mit Abschottung. Dem Konzertmeister Héritier, der endlich die Berliner Philharmoniker live erleben wollte, und der Flötistin Nathalie, ganz groß auf dem Filmplakat zu „Kinshasa Symphony zu sehen, wurden von der deutschen Botschaft in Kinshasa die Visa für die Anreise zur Premiere gestern Abend verweigert. Nur vier von sechs Orchestermitglieder sind jetzt in Berlin, obwohl das Auswärtige Amt die Flüge bezahlt. Auch einer der Regisseure von „Congo In Four Acts“ darf nicht kommen. Beethovens Seid-umschlungen-Millionen-Geist lebt in kongolesischen Slums, nicht in deutschen Amtsstuben. Ein Grund mehr, diese Filme in Deutschland zu sehen und so den Kongo kennen zu lernen.

■ „Kinshasa Symphony“: heute, 18 Uhr, Cubix 8

„Congo In Four Acts“: 18. 2., 19.30 Uhr, CinemaxX 4; 19. 2., 12.30 Uhr, Cubix 7; 21. 2., 19 Uhr, Arsenal 1