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Archiv-Artikel

Die Angst der Linken

ÖKOLOGIE In der Enquete-Kommission drückte sich die Opposition um die wichtigste Frage: Wie geht es ohne die Orientierung am Wachstum?

Ulrich Brand

■ geboren 1967, ist Sachverständiger der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestags. 2007 wurde er zum Professor für Internationale Politik an die Universität Wien berufen.

Im Streitgespräch mit der Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages, Daniela Kolbe, argumentierte ich am 11. April in der taz, dass besagte Kommission gescheitert sei. Gemessen an den formulierten Ansprüchen und am politisch Notwendigen stimmt das: Das Gremium, dessen Bericht gestern im Bundestag präsentiert wurde, war nicht in der Lage, einen Konsens über die aktuelle Krise herzustellen. Die Koalition spricht mehrheitlich eher von einer konjunkturellen Krise, die Opposition von einer strukturellen und multiplen Krise, die weiterreichender Veränderungen bedarf.

Dennoch ergaben sich bemerkenswerte Konsense: so etwa die Einsicht, dass in Deutschland Ressourcenverbrauch und Emissionen drastisch gesenkt werden müssen und dass technologische Innovationen dafür nicht ausreichen. Letzteres wurde insbesondere von den nachdenklicheren und problembewussteren Mitgliedern der Koalition mitformuliert.

Griechenland überall

Aus der Zivilgesellschaft aber wird zu Recht kritisiert, dass sich die Kommission und auch die Oppositionsvertreter darin um ein Thema drückten: Wie kann progressive Politik aus der unbedingten Orientierung am Wirtschaftswachstum herauskommen? Auch Linke hängen mehrheitlich ja noch an der Vorstellung, dass nur mit einem geeigneten ordnungspolitischen Rahmen und Umverteilung die Probleme gelöst werden könnten. Der Kritik am dominanten Wachstumsparadigma, wird auch von ihnen unterstellt, rufe die nächste Rezession aus: „Wollt Ihr überall Griechenland?“ Nur Wirtschaftswachstum sichere Arbeitsplätze und Verteilungsspielräume, gutes Leben und gesellschaftliche Stabilität, glauben sie.

Die Fixierung auf kapitalistisches Wachstum ist aber heute kein Stabilisator mehr, sondern führt zu Instabilität. Das können wir in der aktuellen Eurokrise besichtigen, die viel zu wenig für eine präzise Diagnose der Abhängigkeiten vom kapitalistischen Weltmarkt, von den Finanzmärkten, den steigenden Rohstoffimporten und damit steigenden Preisen genutzt wird. Noch immer glauben auch viele Linke (im weitesten, nicht im parteipolitischen Sinn), dass nur Wirtschaftswachstum die Mittel für Umweltpolitik zur Verfügung stellen könnte. Zwanzig Jahre Nachhaltigkeitspolitik lehren uns aber das Gegenteil.

Eine Linke, die sich darüber Gedanken machte, würde nicht nur bessere Wachstumspolitik betreiben, sondern auch die Orientierung an immer mehr über den Markt vermittelten Waren, die auch in Bangladesch erzeugt werden, problematisieren und entsprechende Alternativen vorantreiben. Sie würde den Kuchen nicht nur anders verteilen wollen, sondern auch seine Ingredienzen verändern und ihn anders backen – sozialökologisch nämlich und mit Blick auf eine solidarische Weltwirtschaftsordnung. Sie würde andere Formen des Wirtschaftens neben und gegen die kapitalistische Marktökonomie anerkennen neben dem wichtigen Kampf um gute und auskömmliche Erwerbsarbeit: Sorge- und Pflegearbeit und die Tätigkeit von Freiwilligen. Zeitwohlstand gegen zunehmenden Stress würde zum zentralen Terrain politischer Auseinandersetzungen werden.

Die Umgestaltungs-Linke

Eine solche Linke würde politisieren: Wirtschaftliches Wachstum bedeutet die jährliche Zunahme von für den Markt produzierten Gütern und Dienstleistungen. Und die wird zentral angetrieben vom Profitprinzip und den damit verbundenen Interessen der Manager und Vermögensbesitzer – und der Kernbelegschaften.

Wachstum und die dafür zu schnürenden staatlichen Hilfspakete haben viel mit Macht und Herrschaft zu tun: Wer bestimmt über die Investitionen? Muss der Staat in der aktuellen neoliberalen Konstellation nicht fast notwendigerweise vor dem Kapital klein beigeben? Werden damit nicht ungleiche Klassen- und Geschlechterverhältnisse festgeschrieben? Wer hat Privilegien, die auch und durch die Krise fortgeschrieben werden?

Michael Brie, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, unterscheidet eine Umverteilungs-Linke von einer Umgestaltungs-Linken. Die Umverteilungs-Linke, die am Wachstum festhält, dominiert den Diskurs und dort, wo sie regiert, auch linke Politik. Sie drängt andere Positionen an den Rand – allen Bekenntnisse zu einer pluralen „Mosaik-Linken“ zum Trotz. Eine Umgestaltungs-Linke – ich würde lieber von einer Transformations-Linken sprechen – hat es bislang schwer.

Immerhin hat die Opposition diesbezüglich in der Enquete-Kommission einen attraktiven Rahmen gespannt, den es nun zu füllen gilt. Sie einigte sich auf den Horizont einer sozialökologischen Transformation, dem zufolge es um einen „demokratischen, gerechten und solidarischen Umbau hin zu einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise“ geht. Also um nachhaltige und gerechte Formen der Mobilität und des Wohnens, der Ernährung und der Kleidung, um eine andere (vielleicht weniger) industrielle Produktion und mehr solidarische Formen des Wirtschaftens. Das bedarf neben der Förderung von Selbstbestimmung, von Experimenten und Pionieren auch der bewussten gesellschaftspolitischen Gestaltung.

Die Fixierung auf kapitalistisches Wachstum führt zu Instabilität. Das können wir in der Eurokrise besichtigen

Alternativen zum Auto

Politik muss sich viel deutlicher qualitative Ziele setzen: Was macht etwa eine Ernährungswende wirklich aus – und wie kann sie erreicht werden? Wie kann eine Energiewende auch im Verkehrs- und Gebäudebereich zu deutlichen Verbrauchsreduktionen führen? Was bedeutet der langsame, geplante und Alternativen entwickelnde Ausstieg aus der Autogesellschaft? Und was heißt es, die Förderung und Verstromung von Kohle infrage zu stellen?

Es geht also nicht um ein abstraktes Ja oder Nein zu Wachstum. Natürlich muss der Ausbau erneuerbarer Energien oder von gut bezahlten Dienstleistungen in der Pflege verstärkt weitergehen. Aber es müssen eben auch Rückbau und Konversion betrieben werden und damit eine Verringerung der Kapitalverwertung. Das ermöglicht Horizonte guten Lebens. Doch bislang wird diese Diskussion verweigert. „Kein Wachstum“ erzeugt auch bei der Linken Angst. ULRICH BRAND