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Archiv-Artikel

Lynch-Aufruf vor Gericht

MORDFALL LENA

Von KNÖ

Weil er einen Aufruf zur Selbstjustiz auf Facebook verbreitet hat, muss sich am Dienstag in Aurich ein junger Mann vor Gericht verantworten. Nach dem Mord an der elfjährigen Lena im März vergangenen Jahres in Emden hatte der Angeklagte dazu aufgerufen, Rache an einem inhaftierten Tatverdächtigen zu üben: „Ab zur Polizeiwache“, postete er in dem sozialen Netzwerk, „lasst uns das Schwein mit Steinen beschmeißen.“

Der Eintrag machte Furore. Mindestens 30 Facebook-Freunden gefiel er. In der Nacht zum 28. März 2012 zogen 50 empörte Menschen vor die Emder Polizeiwache, um die Herausgabe des Verdächtigen zu verlangen. Neben dem jetzt Angeklagten hatte ein weiterer junger Mann einen Lynchaufruf online gestellt: „Aufstand! Alle zu den Bullen! Da stürmen wir! Lasst uns das Schwein tot hauen!“

Wohl ob der Drastik dieser Worte reagierte die Justiz damals fix. Am 10. Mai vergangenen Jahres wurde der 18-Jährige wegen dieser Entgleisung angeklagt, am 30. wurde er verurteilt: zwei Wochen Jugendarrest, dazu eine Verwarnung. „Das geht gar nicht“, kommentiere der Richter Günther Bergholz den Aufruf zur Lynchjustiz. Das Urteil sei eine erzieherische Maßnahme mit dem Lernziel: In einem Rechtsstaat darf niemand das Recht in die eigene Hand nehmen.

Der Mord an Lena am hellichten Tag mitten in Emden hatte im ganzen Land viele Menschen empört. Wie eine Videokamera aufzeichnete, war das Mädchen seinem Mörder arglos in ein Parkhaus gefolgt. In einem abgelegenen Treppenhaus riss er ihm Hose und Slip herunter, stach ihm in den Hals und erwürgte es. Die Eltern selbst fanden später das Mädchen in einer Blutlache liegend. Den zur Tatzeit gerade erst volljährigen Mörder schickte das Gericht in die Psychiatrie – möglicherweise für immer.

Der mildere Lynch-Aufruf, der jetzt verhandelt wird, hat mit dem bereits abgeurteilten eine pädagogische Pointe gemein: Der Tatverdächtige, gegen den zu Felde gezogen werden sollte, war zu unrecht verhaftet worden und wurde drei Tage später entlassen. Tags darauf nahm die Polizei den wahren Mörder fest.  KNÖ