: Kein Computer, nirgends
HAUSBESUCH Er lebt gern antizyklisch und mag es, wenn Kreise sich schließen. Bei Christian Böß in Bad Camberg
VON ARNO FRANK (TEXT) UND BERND HARTUNG (FOTOS)
Bad Camberg im sogenannten Goldenen Grund, einer Landschaft zwischen Wiesbaden und Limburg, Hessen, zu Hause bei Christan Böß (38).
Draußen: Am Ortsrand ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus aus den späten Siebzigern, sauber weiß verputzt, ruhige Wohnlage, davor eine Reihe von Parkplätzen („Nur für Besucher“), alle frei, die Mieter parken hinter dem Haus. Einen Garten gibt es nicht, die schmalen Beete sind funktional bepflanzt. Vor der Haustür im zweiten Stock eine Fußmatte mit dem Emblem von Eintracht Frankfurt.
Drinnen: Zwei Zimmer, Küche, Bad. Im Schlafzimmer zwei Hanteln („für den Rücken“), im Bad buddhistische Gebetsfahnen von einer Freundin. Das Wohnzimmer ein Schrein der Popkultur: Eine üppige Bücherwand mit Musikerbiografien, Comics, Romanen und Bildbänden wichtiger Fotografen. Das geflügelte Logo von Aerosmith, deren Diskografie auch das komplette obere CD-Regal okkupiert: „Mein erstes Konzert. Das prägt.“ In der Küche eine Flasche Rotwein von Gisbert zu Knyphausen, geleert. Dort, wo sonst der Fernseher steht („Ist mir gestern kaputtgegangen“), öffnet sich ein bukolischer Blick ins Grüne und auf blühende Obstbäume: „Im Winter ist das mein schottisches Hochmoor.“
Was macht er? Christian ist Sachbearbeiter in der Integrationsabteilung des Amts für Zuwanderung und Integration der Stadt Wiesbaden: „Ich berate beispielsweise die Leute, wenn es darum geht, Verwandte nachzuholen.“ Besonders spannend findet er, dass da „nie ein Deckel drauf gemacht werden kann“. Immer, wenn sich Wogen geglättet zu haben scheinen, kommen neue Herausforderungen auf: „Aktuell wird über Einwanderer aus Rumänien oder Bulgarien gestritten.“ Er würde sich wünschen, dass darüber „auch mal sachlich“ diskutiert wird. Erst neulich hat er erfahren, dass es in Bad Camberg auch eine Moschee gibt: „Ich wusste das gar nicht!“
Was denkt er? Kürzlich war er mit seiner Freundin Marie in Duisburg, und neben einer geführten „Schimanski-Tour“ durch Ruhrort auch im Ortsteil Marxloh: „Wenn man das sieht, merkt man, dass unsere Probleme in Wiesbaden auf einem anderen Niveau sind.“ Derzeit beschäftigt ihn vor allem das Thema Demenz: „Was würde ich machen, wenn es meine Eltern trifft? Sie kommen in das Alter, und auch ich komme in das Alter, in dem ich mir Gedanken mache.“
Christian: Aufgewachsen fünf Kilometer entfernt, in Walsdorf im Taunus, wo seine Eltern immer noch wohnen: „Leben lief hier immer auf den Dörfern ab.“ Schule, Zivildienst, Ausbildung bei der Stadt. Er pendelt ins Rhein-Main-Gebiet, zur Arbeit und zum Vergnügen oder zu beidem gleichzeitig, wenn er etwa alle zwei Wochen als Volunteer für Eintracht Frankfurt in der Commerzbank-Arena tätig ist: „Interessant ist der Blick hinter die Kulissen, und dass man den Leuten helfen kann.“ Das tut er auch durch seine Mitgliedschaft in der DLRG.
Das erste Date: Marie und Christian kennen sich schon lange. „Unser erstes Date war, streng genommen, in der Tanzschule 1989.“ Später begegneten sich die beiden ab und zu im Zug nach Wiesbaden. Irgendwann fragte er sie, ob sie ihn zu einem Konzert von Udo Lindenberg begleiten wollte. Seitdem sind sie ein Paar: „Gerade gehen wir wieder in die Tanzschule“, sagt Christian und lächelt. Er mag es, wenn Kreise sich schließen.
Heiraten? Ist im Moment noch kein wichtiges Thema: „Ich war schon einmal verheiratet, und 80 Prozent meiner Bekannten haben diese Erfahrung noch nicht gemacht. Vielleicht warte ich, bis alle anderen auch schon einmal verheiratet waren.“ Antizyklisch eben. Bis dahin genießen es Marie und Christian, fast in Rufweite, aber doch in getrennten Wohnungen zu leben. So hat jeder seine Freiheit, und: „So kommt es mir hier eher vor wie mein Viertel, wie Heimat, wenn es da drüben noch einen weiteren Koordinationspunkt gibt.“
Der Alltag: Aufstehen um fünf, Kaffee und Frühstück, mit der Bahn nach Wiesbaden, dort mit dem Bus zur Behörde. Manchmal ist danach noch Zeit fürs Fitnessstudio: „Wenn ich auf dem Crosstrainer strample, kann ich durch das Fenster das Kentucky’s Fried Chicken auf der anderen Seite riechen. Das motiviert.“ Abends dann ins Multiplex-Kino nach Limburg oder fernsehen (Serien wie „How I Met Your Mother“). Und kein Computer, nirgends. Christian Böß ist der vielleicht letzte Mensch unter 40 ohne Internet: „Ich schaue im Büro acht Stunden auf den Rechner, das muss nicht sein.“
Wie finden Sie Merkel? „Sehr kontrolliert, wie Teflon, man merkt ihr ihre akademische Herkunft an. Wenn man sie beim Fußball jubeln sieht, ist klar: Die meint das nicht so.“ Er stört sich auch am Begriff „Mutti Merkel“. Mütterlich erscheint ihm eher eine Hannelore Kraft, denn die „kommt aus dem Volk. Mutti Kraft, das wär’s!“
Wann sind Sie glücklich? „Wenn auf der Heimfahrt von der Arbeit die Bahn das Rhein-Main-Gebiet und die ersten Ausläufer des Taunus hinter sich gelassen hat und alles grün wird und weicher.“
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