Ist die Linkspartei koalitionsfähig?
JA

BÜNDNIS Am Freitag beginnt der Bundesparteitag der Linken. Dann stellt die Partei ihr Programm vor, mit dem sie in den Bundestag will – und mitregieren. Wären da nicht die Vorurteile der anderen Parteien: Altkommunisten im Westen, Ex-SED-Mitglieder im Osten

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Sahra Wagenknecht, 43, ist seit 2010 stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei

Natürlich, denn die Linke will eine Koalition für die Bevölkerungsmehrheit. Wir wollen Armut beseitigen, Reichtum umverteilen und Billiglohnjobs in unbefristete, ordentlich bezahlte Vollzeitstellen umwandeln. Für eine Politik, die Dumpinglöhne fördert, Arbeitslose schikaniert, Waffen exportiert, Gesundheit und Bildung kaputtspart, aber Banken mit Milliarden rettet, sind wir dagegen nicht zu haben. Bis SPD und Grüne dies begreifen, werden wir als Opposition Druck machen. Gerade weil Merkel und Steinbrück sich politisch kaum unterscheiden, hängt es von der Stärke der Linken und dem Druck sozialer Bewegungen und Gewerkschaften ab, inwieweit die Kosten der Krise auf Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose abgewälzt werden. Ohne die Linke würde man heute nicht über Mindestlöhne und eine Mietpreisbremse reden, sondern Hartz V und die Rente mit 70 einführen.

Hilde Mattheis, 58, ist stellvertretende Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg

Jede demokratische und demokratisch gewählte Partei sollte koalitionsfähig sein. Wie sollte sie sonst glaubwürdig darstellen, dass sie ihre Forderungen umsetzen will? Aus der Opposition heraus lassen sich politische Ziele nur schwer erreichen. Also warum sollte die Linke sich aufs Opponieren „einrichten“, wenn sie Politik mitgestalten könnte? Natürlich bedeutet Koalition nicht die 1:1-Umsetzung eigener Wahlversprechen. Daher ist jede Partei bestrebt, BürgerInnen vom eigenen Programm zu überzeugen, um aus Wahlen möglichst stark hervorzugehen. Dann wird jede Partei, die gut beraten ist, prüfen, mit welcher anderen Partei – oder welchen Parteien – sie möglichst viele der eigenen Ziele umsetzen kann. Die Linke wird – wie alle anderen Parteien auch – selbst entscheiden müssen, bis zu welcher Linie sie in Koalitionen gehen will. Oder ob sie unter Umständen ein Tolerierungsangebot macht, sprich eine Regierungskoalition unterstützt, die keine eigene Mehrheit hat.

Thomas Hartung, 42, im Thüringer Landtag, ging von der Linken zur SPD

Die Linke ist koalitionsfähig. Niemand sollte sich abschrecken lassen von unbezahlbaren Versprechen, ideologischen Maximalforderungen oder Klassenkampfrhetorik. Wenn die Regierungsbeteiligung winkt, ist alles verhandelbar. Das haben die bisherigen Koalitionen mit der Linkspartei, zuletzt in Brandenburg, bewiesen. Und kommt es dann zu einer Einigung, sind die Genossen diszipliniert, das haben sie schließlich gelernt. Keine Kröte, die man nicht schluckt und dabei tapfer behauptet, damit das Ziel der eigenen Politik zu erreichen. Fraglich ist allerdings, ob die Partei dieses Missverhältnis zwischen Versprechungen und eigenem Regierungshandeln lange überlebt. Da ist ein Blick auf die Wahlergebnisse der Linken auf die bisherigen Regierungsbeteiligungen erhellend. Keine Partei muss deshalb eine Regierungsbeteiligung der Linken fürchten – außer der CDU.

Steffen Gresch, 47, war DDR-Bürgerrechtler, ist Schauspieler und Autor

Warum nicht? Fachlich kompetente Politiker hat die Linke wie alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Ausschlaggebend für ein linkes Dreierbündnis wäre der politische Wille bei SPD und Grünen. Als DDR-Oppositioneller habe ich zu spüren bekommen, was Zwang zur Arbeit bedeutete. Aber die Linke hat ihr stalinistisches Arbeitszwang-Erbe aus SED-Zeiten überwunden. Mit der Perspektive eines bedingungslosen Grundeinkommens ist sie den meisten etablierten Parteien um Lichtjahre voraus.

Nein

Jöran Klatt, 27, ist Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung

Regional ja, im Bund nein. Auch wenn sich die Partei selbst bedeckt hält und eine Tolerierung von Rot-Grün, gar eine Regierungsbeteiligung nicht kategorisch ausschließt, so würden derartige Szenarien auf den beteiligten Seiten innerparteiliche Zerreißproben nach sich ziehen. Indes bilden die momentan im Wahlprogramm der Linken formulierten inneren Konsens-Themen (besonders Friedenspolitik und Hartz-IV-Ablehnung) gerade aufgrund abstrakter Formulierung und einer gewissen Unbestimmtheit eine funktionierende gemeinsame Grundlage. Sie müssten konkretisiert werden. Da für die Linke aber ihre Heterogenität in ihrer derzeitigen Krise eine wichtige Überlebensgrundlage darstellt, ist es unwahrscheinlich, dass sie den inneren Burgfrieden zugunsten des äußeren Friedens opfert und sich auf (für sie) wenig versprechende Gestaltungsexperimente einlässt.

Hubertus Knabe, 53, ist Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

Ob eine Partei regierungsfähig ist, hängt von dreierlei ab: dass sie regieren will, dass sie regieren kann und dass sie dafür eine Mehrheit hat. Ersteres muss man bei der Linken bezweifeln. Weite Teile, vor allem im Westen, halten eine Regierungsbeteiligung für Teufelszeug. Wenn die Parteichefs dennoch die SPD umwerben, dann hat das taktische Gründe. Denn warum sollte man eine Partei wählen, die nicht regieren will? Dass die Linke regieren kann, hat sie scheinbar in Ostdeutschland gezeigt. Doch ihre Umverteilungsversprechen brauchte sie dort nicht einzulösen – weil sie Bundessache sind. Da man eine Kuh, die man melken will, nicht schlachtet, wird sie dafür keine Partner finden. Erst recht nicht für ihre Außenpolitik. Eine Mehrheit wird die Linke ohnehin nicht erhalten. Wer sie ins Parlament befördert, der sorgt stattdessen für eine große Koalition. Wer den Wechsel will, muss deshalb dafür sorgen, dass sie unter 5 Prozent bleibt.

Daniela Dahn, 63, ist Autorin und kandidierte für die PDS als Verfassungsrichterin

Koalitionsfähigkeit ist ja keine Qualität, sondern eine Zuschreibung zwischen potentiellen Partnern. Steinbrück schließt eine große Koalition aus, CDU und SPD sind demnach nicht koalitionsfähig. Zwischen Rot-Grün und Linken gibt es innenpolitisch wohl keine unüberbrückbaren Hindernisse. Anders in der Frage militärischer Gewalt. Die Linken werfen Rot-Grün zu Recht die Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen und juristisch nicht aufgearbeiteten Krieg gegen Serbien vor. Rot-Grün will die generelle Absage der Linken an militärische Gewalt nicht mittragen, offizielle Gespräche über die Auslegung von UN-, Nato-Beschlüssen und Grundgesetz werden nicht angeboten. Lieber lässt man die Chance einer linken Mehrheit verstreichen. So hat die Linke nur die Wahl, nicht koalitionsfähig oder wegen Profillosigkeit überflüssig zu sein. Ersteres ergibt mehr Sinn, denn Opposition ist die Seele der Demokratie.

Simon Stratmann, 30, ist taz-Leser. Er hat die Streitfrage per E-Mail kommentiert

Koalitionsfähigkeit setzt voraus, dass ein strategisches Zentrum die Partei zu führen vermag, ein politisches Programm Kompromisse zulässt sowie Mitglieder und Wähler eine Regierungsübernahme diskutiert haben. Die Linke ist jedoch weder in der Lage, überzeugendes Personal für Regierungskabinette bereitzustellen, noch sind außen- und wirtschaftspolitische Teile ihres Programms in politisches Handeln übersetzbar. Letztlich besitzt die Linke auch keine Wählerbasis, die ihr Regierungshandeln längerfristig stützen würde.