nobse, altes haus! von JOACHIM SCHULZ
:

„Bist du’s? Na klar! Was für eine Überraschung! Nach all den Jahren!“ Ich saß mit meiner alten Freundin Mathilda im „Café Gum“, und ein freudestrahlender Hüne trat an unseren Tisch. „Mann!“, rief er: „Wie schön, dich mal wieder zu sehen!“ Ich freilich konnte mich nicht an ihn erinnern und blickte ihn ratlos an. „Was ist?“, sagte er: „Du wirst doch deinen Nobse noch kennen?!“ – „Gewiss doch … Nobse, mein Alter!“, sagte ich und erhob mich: „Das ist ja …“ Weiter kam ich nicht, da er mich umschlang und an sich drückte. „Das muss gefeiert werden! Ich besorge uns Schampus!“, rief er, ehe er mich aus seiner Umarmung entließ und zur Theke hinüberstapfte.

Ich setzte mich verdutzt wieder hin. Mathilda grinste. „Gib’s zu“, sagte sie, „du hast keinen Schimmer, wer das ist.“ – „Stimmt“, sagte ich: „Nobse, Nobse … – nie gehört. Aber anscheinend kennen wir uns.“ – „Tja“, feixte Mathilda: „So fängt sie an, sancta senilita!“

Bevor ich mir derlei despektierliche Bemerkungen verbitten konnte, kehrte Nobse mit dem Champagner zurück. Wir stießen an, ich stellte ihm Mathilda vor, und er sagte: „Was hatten wir für Spaß miteinander!“ Ich nickte und ging im Geiste die Galerie mit den Gesichtern früherer Freunde durch. Vergeblich. „Erinnerst du dich“, fuhr er fort, „wie wir unseren blöden Englischlehrer behumst haben?“ Ah!, dachte ich: Wir waren zusammen in der Schule! Doch hatten wir in Englisch nicht ausnahmslos Frauen? Dann fiel mir ein, dass er Doc Ziegenbart meinen muss, den ärgsten Schleifer der Schulgeschichte. „Französisch!“, sagte ich daher: „Du meinst Doktor Dieckpaster, den Französischlehrer!“ – „Richtig!“, sagte er: „Dieckpaster hieß er!“

„Einmal“, erklärte ich Mathilda, „hatte Dieckpaster seine Tasche im Klassenzimmer vergessen. Ich durchstöberte sie und fand den Text für ein Diktat, das wir zwei Tage später schreiben sollten. Die ganze Klasse machte Einsen und Zweien.“ – „Genau!“, sagte Nobse mit vollem Mund, denn mittlerweile hat die Bedienung ihm eine doppelte Portion Schweinemedaillons gebracht, die er genüsslich verspeiste.

„Sehr lecker!“, sagte er, nachdem er aufgegessen hat. Er trank den letzten Schluck Champagner und stand auf: „Muss nur mal kurz für kleine Jungs. Bin gleich wieder da! Rührt euch nicht vom Fleck!“ Ich blickte ihm nachdenklich hinterher. „Mein Gott“, murmelte ich, „ich war mit ihm in der Schule und kann mich nicht an ihn erinnern! Ich verblöde!“ Und das tat ich dann wohl auch langsam. Denn als er eine halbe Stunde später immer noch nicht zurückgekehrt war, dämmerte mir erst, dass ich nun ein kleines Vermögen für seine Schweinelendchen und den Schampus hinblättern durfte.

Ich hatte den dreisten Betrüger schon fast wieder vergessen, als ich ein paar Wochen später das „Rastaman Inn“ betrat und meinen „alten Freund“ an einem Tisch mit einem leicht begriffsstutzig dreinblickenden Herrn entdeckte. Vor ihm stand ein Glas Champagner und ein Teller. Ich konnte nicht anders: „Nobse, altes Haus!“, rief ich und setzte mich dazu. Und weil Nobse nur wenig Interesse daran hatte, in den Schwitzkasten genommen zu werden, lächelte er mit gespielter Freude und zahlte später ohne zu murren Schweinelendchen und Schampus für drei.