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Archiv-Artikel

„Ich glaube, Merkel hat zu Hause mit Rotwein angestoßen“

Beate Wedekind organisiert seit neun Jahren die Verleihung der Goldenen Kamera – traditionell eine der glamourösesten Galas in Deutschland. Die 41. Auflage: heute Abend in Berlin (live im ZDF, 20.15 Uhr). Doch neuerdings wird ja in diesem ernüchterten Land nur noch mit Wasser angestoßen. Hat Glamour ausgedient?

VON SUSANNE LANGUND MARTIN REICHERT

taz: Frau Wedekind, ist das Wasser schon kaltgestellt für die Party?

Beate Wedekind: Ich hoffe doch. Wieso fragen Sie?

Sekt ist ja nicht mehr angesagt unter der Merkel-Regierung.

Ach so. Könnte man annehmen, stimmt.

Sie finden die Vorstellung amüsant, weil Sie lachen?

Sagen wir so: Wenn wir unsere Preisträger und Stars mit Wasser statt gutem Wein oder auch einem Gläschen Champagner feiern würden, fände ich das doch übertrieben frugal. Ich glaube übrigens, dass Angela Merkel, nachdem sie mit Wasser auf den Koalitionsvertrag angestoßen hat, zu Hause auch einen ordentlichen Rotwein getrunken hat.

Sie schätzen Merkels Trennung zwischen der Politikerin vor der Kamera und der Privatfrau?

Oh ja. Ich persönlich trinke ja auch nach Feierabend und nicht beim Arbeiten. Einen Kanzler mit Rotweinglas in der Hand finde ich extrem gewöhnungsbedürftig.

Was wollte die Regierung Schröder/Fischer mit ihrer Rotwein-Inszenierung zum Ausdruck bringen? Einen glamourösen Politikstil?

Mag sein. Für mich hat es eher eine extreme Distanz zu den Menschen versinnbildlicht. Politiker sollten sich in der Öffentlichkeit menschlich konform zeigen und nicht dekadent entspannt.

Glamour hat in der Politik nichts zu suchen?

Na ja, jeder kann feiern wie die Feste fallen, nur leider fallen die Feste in Deutschland zurzeit etwas bedeckter aus. Gerade deshalb sollten sich Politiker adäquat präsentieren.

Wird auch Ihre Gala heute Abend bedeckter ausfallen?

Die gedämpfte Stimmung macht sich bemerkbar, aber anders als Sie vermuten werden. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Leistung wieder stärker im Vordergrund steht und auch honoriert wird, nicht nur der Name und der Glamour. Dieses Phänomen zeigt sich nicht nur bei der „Goldenen Kamera“, sondern in der gesamten Branche. Kompetenz schlägt Prominenz. Das finde ich extrem angenehm.

Oh, da haben wir wohl einen Trend verpasst. Wenn man an die Bambi-Verleihung zuletzt denkt …

Damit vergleichen wir uns ehrlich gesagt nicht. Wir zeichnen nur Künstler aus, die wirklich eine Branche geprägt haben mit ihrer Leistung. Dieses Jahr zum Beispiel Bob Geldof, und nicht irgendein Popsternchen, das jetzt groß im Geschäft ist. Geldof hat mit LiveAid über zwanzig Jahre kontinuierlich Aufmerksamkeit für ein großes Problem geschaffen: Armut in Entwicklungsländern. Für mich ist er ein genialer weltweiter Vernetzer von Popkultur, Medien und Politik.

Aber Galas wie die „Goldene Kamera“ leben doch auch von den Popsternchen, oder?

Nun ja, schöne junge Frauen sind was Nettes, aber deshalb muss man sie doch nicht auszeichnen. Gerade in Berlin hat es sich leider durchgesetzt, möglichst junge, schöne und glamouröse, oft aber auch unbegabte Schauspielerinnen in den Vordergrund zu stellen, damit sie ihr schönes Dekolleté ausstellen können. Die kommen bei uns aber nicht auf die Einladungsliste.

Keine Gala-Luder?

Na ja, wenn ein eingeladener Gast sein Filmsternchen mitbringt, kann man ihm das ja nicht verwehren. Zur Party nach der Verleihung laden wir sie ein, denn da steigert die glamouröse Schauspielerin natürlich den Fun-Faktor.

Das klingt aber etwas böse.

Ich meine das nicht böse. Es ist nur erfahrungsgemäß so, dass der erfolgreiche Produzent, dessen Frau ihm gerade abhanden gekommen ist, an der Bar lieber ein Glas Champagner mit der jungen Schauspielerin trinkt als mit seiner Kollegin im gleichen Alter, die ihn seit Jahren um Rollen bittet.

Sie haben ja an alles gedacht.

Klar.

Das gehört zu Ihrem Job als Event-Managerin?

Diesen Begriff finde ich schrecklich. Ich bin in erster Linie immer noch Journalistin und in Bezug auf die Gala schlicht Produzentin. Der Begriff Event deutet schon auf die Entwicklung hin, die in der Unterhaltungsbranche stattgefunden hat. Geld wird nur noch für Events ausgegeben, wenn eine Ware zu promoten ist. Früher ging es öfter darum, das Image einer Stadt zu fördern, den Glanz zurückstrahlen zu lassen. Glanz ist eigentlich auch das schönere Wort als Glamour.

Warum ist dieser Glanz so wichtig? Der Großteil der Gesellschaft nimmt ja an den Galas gar nicht teil.

Oh doch, über die Livesendungen zum Beispiel. Viele unserer Zuschauer bei der „Goldenen Kamera“ zelebrieren die Gala mit einem Gläschen Sekt vor dem Fernseher. Glanz in Verbindung mit einer nachweislichen Leistung oder Popularität, ist eine wunderbare Form von Eskapismus – gerade in nicht so glanzvollen Zeiten.

Die diesjährigen Nominierungen für die Goldene Kamera, etwa das Fernsehspiel „Die Luftbrücke“, spiegeln sie auch eine Form von Eskapismus: den nostalgischen Blick auf die Nachkriegszeit?

Mich hat das 50er-Jahre Revival erstaunt. Nicht aber die Rückbesinnung auf die Zeiten der Luftbrücke. Sich auf eine Extremsituation Berlins zurückzubesinnen ist geschichtlich interessanter als etwa auf Naturkatastrophen. Die Luftbrücke war eine politische Situation, sie war gesellschaftlich relevant – ich sage das mal ganz pathetisch – eine Hitler-gegebene Relevanz.

Pathetisch – das war ja lange demodé. Ist Pathos wieder gefragt?

Das kommt auf die Gesellschaftsschicht an. All die Leute, die vor kurzem noch sehr viel Geld im IT-Bereich machen konnten und jetzt an ihre existenziellen Grenzen gestoßen sind aufgrund der wirtschaftlichen Lage, haben eine große Sehnsucht nach einem neuen Pathos. Vor allem die jüngeren, meine Kindergeneration wenn Sie so wollen, haben wieder eine Fähigkeit, Pathos zu empfinden.

Sie persönlich neigen aber auch zum Pathos?

Ich bin schon immer pathetisch gewesen. Keine Ahnung, warum. Aus meiner Generation kenne ich nicht viele, die so pathetisch sind wie ich oder den Pathos in diesem Alter neu entdecken würden. Allerdings habe ich im Rahmen der Konzeption eines neuen Magazins für Frauen „50plus“ festgestellt, dass sich vor allem bei Älteren dieses Gefühl aus der Erinnerung an die besseren Zeiten speist, an die Prosperität der 70er-Jahre. Viele Menschen haben wirklich Existenzängste.

Wie definieren Sie denn Pathos? Als Gegenteil von ironischer Distanziertheit?

Pathos ist für mich ein bisschen mehr, es ist mit hundertprozentiger Emotionalität verbunden. Aber ich finde es immer schwierig, mich dazu zu äußern, weil ich in der sehr privilegierten Situation bin. Ich habe keine finanziellen Sorgen, und die Freiheit, mein Leben selbst planen zu können.

Sie haben keine Sorgen mehr?

Na ja, meine Altersvorsorge ist sicher, ich habe hart gearbeitet und bin ein sparsamer Mensch. Und ich habe keine Familie, also keine Kinder, um deren Ausbildung ich mir Sorgen machen müsste. Was aber nicht heißt, dass ich keine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen würde. Ich achte sehr darauf, mit möglichst vielen jungen Leuten zu arbeiten, ihnen eine Chance zu geben.

Wobei wir bei der Mehr-Kinder-für-Deutschland-Debatte wären. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Kinderlose seien Egoisten?

Das beschäftigt mich sehr. Aber ich habe ein absolutes Gegenargument. Indem ich arbeite, leiste ich auch meinen Beitrag für die Gesellschaft. Eine Nichtmutter kann sich genauso verantwortlich fühlen für eine Gesellschaft, auch wenn sie nicht mit Nachwuchs dafür sorgt, dass die Rente gesichert wird.

Wenn Sie heute 30 wären, würde man ganz schön Druck auf Sie ausüben.

Ja, ich weiß. Das war bei mir Gott sei Dank wirklich anders. Da hat nur meine Mutter mal gefragt, wann ich endlich heirate, aber nicht die Gesellschaft. Dem Druck kann man aber entgegentreten, indem man diese Verteidigungshaltung aufgibt, und gelassen beobachtet, wie dumm andere Menschen sind. Und indem man Emanzipiertheit auch nach außen demonstriert – ich habe das immer gemacht. Ich würde fast sagen, ich bin emanzipiert auf die Welt gekommen.

Haben Sie deshalb Aenne Burda als Ihr Vorbild bezeichnet, Ihre Verlegerin, als Sie bei „Bunte“ Chefredakteurin waren?

Ja, sie hat einmal zu mir gesagt: Wir beide sind die einzigen Kerle in unserem Laden.

Das hat Sie gefreut?

Ja, hat es sehr, das muss ich sagen.

Um so mehr muss Sie doch die zur Schau gestellte Nichtemanzipiertheit der Party-Schönheiten nerven?

Ach, es gibt übrigens auch Männer dieser Sorte, junge untalentierte Kaugummi-kauende Schauspieler, schrecklich! Aber im Ernst: Manchen Menschen hat der liebe Gott die Kapazität mitgegeben, eine glamouröse sexy Schauspielerin zu sein. Andere werden Wissenschaftlerin. Ich wollte früher auch immer lange Beine haben und lange blonde Haare – ich habe sie aber nicht. Damit kann ich mich aber gut abfinden, weil ich was im Kopf habe. Und damit Sie mich nicht missverstehen: Vor dem Filmsternchen habe ich genauso Respekt, weil sie ihre Rolle und Nische ja gefunden hat.

Und all diese Sternchen und Diven sollen Sie betütteln, in Laune halten und das möglichst nicht mit Koks und Kohle, sondern Ihrer Persönlichkeit. Das hat fast wieder etwas Mütterliches …

Ja, das stimmt. Wenn ich merke, dass jemand kein eitles Anliegen an mich heranträgt, bin ich das gerne. Aber ich kann auch sehr streng sein. Wenn zum Beispiel längst abgemeldete Leute aufdringlichst auf die Gästeliste wollen …

Haben Sie es oft mit abgemeldeten Exzentrikern zu tun?

Das Bedürfnis, am Glanz einer solchen Veranstaltung wie der „Goldenen Kamera“ teilnehmen zu dürfen, ist in den letzten Jahren extrem gestiegen. Die Leute hoffen, dass der Glanz der Gala wieder auf sie zurückstrahlt. Aber unser Anspruch an die Qualität der Gäste, die wir wirklich haben möchten, der ist genau gegenläufig.