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Archiv-Artikel

Bush wächst nicht mehr

In seiner „Rede zur Lage der Nation“ vermeidet der US-Präsident dieses Jahr hochfliegende Pläne. Die Demokraten finden das schwach

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

US-Präsident George Bush gab sich gestern volksnah. Aus Anlass seiner Rede zur Lage der Nation hatten er und seine Frau Menschen aus dem Volk in den US-Kongress eingeladen, darunter einen Lehrer, eine Ärztin, die Familie eines gefallenen Soldaten. Eine demokratische Kongressabgeordnete hatte auch einen Gast aus dem Volk: Cindy Sheehan, die landesweit engagierte Antikriegsaktivistin. Sheehan, deren Sohn im Irakkrieg gefallen ist, hatte letzten Sommer wochenlang aus Protest vor Bushs Ranch in Texas campiert. Kurz vor Beginn der Bush-Rede wurde sie nun von Polizisten verhaftet und von der Galerie befördert, auf der sie Platz genommen hatte. Der Grund: Sie trug ein Anti-Kriegs-T-Shirt.

Es folgte eine 51-minütige Rede, in der George Bush vieles ansprach, was er auch schon in seinen vorangegangenen Lage-Reden angesprochen hatte. Auch diesmal betonte er den weltweiten Führungsanspruch der USA; seinen Willen, global Demokratie und Freiheit zu verbreiten, und seine Absicht zu innenpolitischen Reformen. Obwohl den sichtlich verkrampft wirkenden Bush auch diesmal Applaus und Jubel im Kongress unterstützten, war das, was Bush zu sagen hatte, merklich bescheidener als noch vor zwölf Monaten.

Bush ging es in erster Linie um eine optimistische Bestandsaufnahme der geopolitischen Lage, bei gleichzeitiger Betonung der Dauergefahr durch Terroristen. Er lobte die Iraker für ihre demokratischen Errungenschaften. Er kündigte an, die Zahl der US-Truppen im Irak zu reduzieren, ohne Genaueres zu nennen. Er sprach dabei viel von „Feinden“, „bösen Imperien“ und dem „fundamentalistischen Islam“, den es zu bekämpfen gelte. Er rief die Welt auf, den „Iranern nicht zu erlauben, Nuklearwaffen herzustellen“, ohne gleichzeitig zu erklären, was die Welt denn dagegen tun solle.

Diesmal verkündete Bush keine Umwälzung der Sozialversicherungen, die er noch vor einem Jahr zu seinem größten Reformvorhaben schmieden wollte. Vielmehr kündigte er verschiedene Bildungs- und Forschungsinitiativen an. In den letzten fünf Minuten seiner Rede streifte er kurz das Thema New Orleans, ohne sein im Oktober gegebenes Versprechen, die Stadt wieder aufzubauen, nochmals zu bekräftigen.

Die Demokraten beklatschten den Präsidenten zwar. Doch es sei die „schwächste ‚State of the Union‘-Rede seiner Amtszeit“ gewesen, lästerte anschließend der demokratische Fraktionsführer im Senat, Harry Reid.

Überrascht hat die Ankündigung Bushs, der jahrelang für die Ölindustrie in Texas arbeitete, die USA seien „ölabhängig“ und müssten ihre Abhängigkeit vom importierten Öl reduzieren. Demokraten und Umweltorganisationen werfen Bush schon seit Jahren vor, die Förderung alternativer Energien und neuer Technologien sowie das Thema Treibhausgase und globale Erwärmung missachtet zu haben.

Die Demokraten in Gestalt des neu gewählten Gouverneurs des Bundesstaates Virginia, Tim Kaine, warfen der Bush-Regierung in einer von TV-Sendern übertragenen Antwortrede Missmanagement vor. Während sie Steuersenkungen verlange, gebe es eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Während Bush von mehr Wettbewerbsfähigkeit rede, habe er ein niederschmetterndes Haushaltsdefizit erzeugt.

Der Vorsitzende der Demokraten, Howard Dean, warf Bush im Anschluss an seine Rede vor, er habe mit seiner Betonung der Bedrohung Amerikas und der nationalen Sicherheit durch Terroristen die BürgerInnen wieder verängstigen und spalten wollen.

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