NEUNTER TAG : Schweigen ist Gold
Jetzt heißt es noch drei Tage lang: Die Münder gehen auf, sie klappen wieder zu, sie erzählen, erklären, plappern drauflos, stellen dumme Fragen. Warum muss in den meisten Filmen so viel geredet werden? In Oskar Roehlers ausgebuhtem Desaster „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ fällt es wieder einmal besonders auf, weil es so unfassbar schreckliche Dinge sind, die hier einfach so dahergesagt werden – als wäre es völlig undenkbar, einen etwas stilleren Film über die Geschichte des NS-Propagandafilms und seines Hauptakteurs Ferdinand Marian zu machen; also etwa einen Film, in dem die erste Strophe des Deutschlandlieds nicht unbedingt von einem begeisterten Chor geträllert wird, oder einen Film, in dem nicht unbedingt alte Judenwitze samt Pointe bis zu Ende erzählt werden.
Am Abend vor der „Jud Süß“-Premiere, also am Mittwoch, machte man sich im Filmhaus am Potsdamer Platz kurz Gedanken darüber, was das Gegenteil, also Schweigen, bewirken kann: Im Podiumsgespräch mit Hanna Schygulla, die gestern mit einem Goldenen Bären für ihr Lebenswerk geehrt wurde, ging es unter anderem darum, dass Schygulla in ihren Filmen früher so still und doch voller Ausdruck gewesen sei. Bücher, die sie von Verehrern geschenkt bekommen habe, hätten sogar Widmungen wie diese enthalten: „Für die, die weiß, warum sie lieber schweigt statt spricht.“ Diese Zeiten sind indes auch bei Schygulla längst vorbei, sie findet es mittlerweile viel besser, richtig aus sich rauszugehen: Auf die erste Frage der devoten Gesprächsleiterin Heike-Melba Fendel folgte gleich ein zwanzig Minuten langer, elliptisch kreiselnder Monolog, in dem Schygulla etwa mitteilte, sie würde so gern die Unterwasserszene aus „Der Sommer mit Frau Forbes“, für die sie 1988 so gelitten habe, auf YouTube stellen, und die Leute, die immer sagten, sie habe graue Haare, hätten Unrecht, denn sie finde, ihr Haar sei „perlmuttig“. Zu diesem Perlmuttton würde so gut der feine graue Berlinale-Kaschmirschal passen, der ihr in diesem Jahr gleich zweimal geschenkt worden sei: einmal bei ihrer Ankunft, später noch mal von Dieter Kosslick persönlich, der sich der Dopplung wohl nicht bewusst gewesen sei – doch was soll’s, sie habe auch den zweiten Schal erfreut und „schweigend“ (sic!) entgegengenommen. Ansonsten sagte Schygulla – geschmackvoll gekleidet in schwarzen Strick und bombigen schwarzen Stulpenstiefel – in Zukunft würde sie gern mehr Gespenster spielen. Das war eine gute Nachricht – denn Gespenster haben auch „perlmuttiges“ Haar, und sie reden nicht so viel. Bis morgen! JAN KEDVES