: SPD demonstriert gegen sich selbst
Die Sozialdemokraten wollen gemeinsam mit den Gewerkschaften gegen die Bundesregierung protestieren und entfachen dabei einen Streit mit ihrem Koalitionspartner: Was dürfen französische Fensterputzer, wenn sie in Deutschland arbeiten?
VON HANNES KOCH
Die Europäische Kommission hat ein Jobwunder geplant. Millionen neuer Arbeitsplätze sollen entstehen, indem tausende überflüssige Vorschriften für Dienstleistungsbetriebe abgeschafft werden. Das große Werk geht seiner Vollendung entgegen. Aber nun sorgt es für Aufruhr in der großen Koalition. Die SPD will weniger, die Union etwas mehr Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Heute Abend soll der Koalitionsausschuss aus Union und SPD den Streit klären.
Im Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie gibt es ein Wort, an das sich viele Befürchtungen knüpfen. Das so genannte Herkunftsland-Prinzip sieht vor, dass für ausländische Firmen, die hierzulande ihre Tätigkeit anbieten, nicht das deutsche Recht gilt, sondern das des Landes, aus dem sie kommen. SPD-Fraktionsvize Angelica Schwall-Düren befürchtet „Lohndumping“ durch externe Billiganbieter und will das Herkunftsland-Prinzip weitestgehend aus der Richtlinie verbannen. CDU-Wirtschaftspolitiker Laurenz Meyer teilt zwar viele der Bedenken, stellt aber die Vorteile in den Mittelpunkt. Unter dem Strich würden in Deutschland mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet, schätzt Meyer.
Ein Beispiel für den Konflikt zwischen SPD und Union: Wenn eine französische Firma für Gebäudereinigung in Deutschland Hochhaus-Fenster putzt, sollen nach dem Willen der SPD weiterhin die hiesigen Arbeitsrechts-, Tarif-, Sozial- und Sicherheitsvorschriften gelten. Grundsätzlich sieht das auch die Union so, würde aber die Latte etwas tiefer legen. „Muss die Buchhaltung der französischen Niederlassung in Deutschland nach hiesigem Recht erfolgen?“, fragt CDU-Politiker Meyer. Und antwortet selbst, das sei nicht notwendig.
Die Union will für die französische Firma auch dann teilweise französisches Recht gelten lassen, wenn sie in Deutschland arbeitet – und dem Betrieb damit seine Arbeit erleichtern. Gleiches würde für deutsche Betriebe in Frankreich gelten. Unnötige Vorschriften im Nachbarland würden wegfallen. Die SPD hingegen will die Liberalisierung nur auf einen einzigen Bereich beschränken: Ist ein Unternehmen in seinem Heimatland einmal zugelassen worden, soll es sich nicht mehr lästigen Anmeldeprozeduren in anderen EU-Ländern unterziehen müssen. „Unsinnige Schutzregeln müssen weg“, sagt SPD-Politikerin Schwall-Düren.
Bei der Union versteht man allerdings nicht so richtig, was die ganze Aufregung beim Koalitionspartner soll. Die Christdemokraten verweisen darauf, dass das EU-Parlament der gefürchteten Richtlinie schon viele Zähne gezogen habe. Ganze Branchen wie etwa die Krankenversorgung seien nun vom Herkunftsland-Prinzip ausgenommen. Zudem bedrohe die Richtlinie nicht mehr das nationale Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht. Ein Erklärungsversuch der Union sieht so aus: Auf Biegen und Brechen versuche die SPD, in der großen Koalition soziales Profil zu wahren. „Amüsiert“ hat auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac registriert, dass die SPD nun eine Demonstration gegen die Dienstleistungsrichtlinie unterstützt. Am 11. Februar ziehen Gewerkschafter vor das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin, um gegen Sozialdumping zu protestieren.
Wirtschaftsminister Michael Glos vom Koalitionspartner CSU kann aus diesem Anlass auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung verweisen. Die ausländische Konkurrenz vernichte in Deutschland zwar Billigjobs, schaffe aber vergleichsweise mehr gut bezahlte Stellen in Branchen, in denen hiesige Unternehmen wettbewerbsfähig seien.